Diskussionsfragen zu Ruth Rebecca Tietjen (Pardubice): „Übung in potenzieller Philosophie“

Die Redaktion

Diskussionsfragen zu Ruth Rebecca Tietjen (Pardubice): „Übung in potenzieller Philosophie“

Ruth Rebecca Tietjen0000-0001-8172-5676

1. Frage: Sie haben Ihr Projekt ja als „Meta-Philosophie“ bezeichnet. Ich habe mich schon immer ein bisschen gefragt, wofür man diesen Begriff eigentlich braucht. Ich habe immer den Eindruck gehabt, dass wir als Philosophen ohnehin immer auch Meta-Philosophie betreiben. Was ist also für Sie der Mehrwert, wenn man sich auf diesen Begriff bezieht, abgesehen davon, dass man natürlich andockt, an die bestehenden Debatten?

Ich stimme im Grunde Ihrer impliziten Kritik zu. Das, woran mein Projekt ursprünglich angeknüpft hat, ist natürlich diese neu entstandene Disziplin der Meta-Philosophie. Aber der Begriff ist natürlich auch ganz klar analytisch konnotiert. Ich denke, dass keine „Kontinentalphilosophin“ davon sprechen würde, Meta-Philosophie zu betreiben. Insofern war ich zwar motiviert, an diese neue Disziplin anzuknüpfen, aber es wird hoffentlich auch durch den Beitrag deutlich, dass das, was ich eigentlich tue, in vielen Hinsichten darüber hinaus geht, was analytische Meta-Philosophie macht.

2. Frage: Ich würde gerne etwas zum Begriff des Fanatismus fragen. Wie würden Sie die Abgrenzung zur Radikalität vornehmen? Eine andere Frage betrifft Ihren Vortrag selbst. Der Charme Ihrer Herausgeberfiktion besteht natürlich darin, dass man immer gleichzeitig trotzdem Autor dieser verschiedenen vorgestellten Texte und Kommentare ist. Alles kann also erfunden sein, und das ist ja häufig auch die Rolle dieser verschachtelten Herausgeberkommentare. Dieser Charme verzieht sich aber ein bisschen, wenn man sich den Text anschaut, den Sie hier eingereicht haben, weil dort machen Sie ja den ganz praktischen Vorschlag, dass man diese Form der Performativen Philosophie auch unterrichten könnte. Und in diesem Zusammenhang sprechen Sie ja auch konkret von einer Imitation verschiedener Philosophiestile. Meine Frage wäre, wie Sie es vermeiden wollen, dass diese Imitationen zu einer Karikatur werden? Wie wollen Sie mit dieser Gefahr der Karikatur umgehen?

Was den Begriff des Fanatismus in Abgrenzung zur Radikalität angeht, besteht mein analytischer Ausgangspunkt darin, zu sagen, dass es im Fanatismus immer um eine leidenschaftliche Hingabe an eine bestimmte Idee unendlichen Wertes geht. Das liegt auch schon in der Etymologie des Wortes begründet. Und diese leidenschaftliche Hingabe an diesen Wert ist immer kollektiv, es gibt also niemals nur eine einzelne Fanatikerin. Außerdem ist die leidenschaftliche Hingabe natürlich identitätsstiftend. Im Diskurs über Fanatismus wird der Begriff natürlich primär pejorativ verwendet und ich verwende den Begriff im Ausgang meines Buches auch als einen normativen Begriff, der auf einen Phänomenbereich weist, der in irgendeiner Weise problematisch ist. Und ähnlich würde ich in Bezug auf den Begriff „Radikalität“ bei der Etymologie des Wortes ansetzen, und sagen radikal ist das, was an die Wurzel geht, was Systeme also in ihren Grundstrukturen in Frage stellt, anstatt diese Grundstrukturen vorauszusetzen. Ich bin dazu geneigt, den Begriff der Radikalität in neutraler Art und Weise zu verwenden, aber ich glaube, wir brauchen auch hier beide Dimensionen: die normative und die deskriptive Dimension. Und wir brauchen vor allem die kritische Reflektion darüber, was wir mit diesen Begriffen eigentlich tun.

Was Ihren letzten Punkt angeht: Das Seminar konnte leider nicht stattfinden, aufgrund der Corona-Pandemie. Aber ich werde hoffentlich auch bald philosophischen Stil unterrichten und bin schon geneigt, das in der ein oder anderen Form auch mal praktisch ausprobieren zu wollen. Zentral für mich ist aber, dass ich die philosophischen Traditionen gerade nicht karikiere, sondern versuche, sie ernst zu nehmen. Damit hängt natürlich zusammen, dass es jetzt nicht beliebige Traditionen sind, in denen ich das praktizieren möchte, sondern nur welche, in denen ich auch mehr oder weniger ausgebildet bin.

3. Frage: Habe ich Sie richtig verstanden, dass es Ihnen darum geht, hervorzuheben, das philosophische Fragen niemals nur aus der Perspektive einer einzelnen philosophischen Tradition beantwortet werden können, sondern dass wir immer alle Traditionen zugleich befragen müssen, um eine umfassende Antwort zu erhalten?

Ich würde nicht behaupten, dass das auf alle philosophischen Themen zutrifft, es ist eben kein Zufall, dass ich mich mit Fanatismus in diesem Kontext beschäftige. Und in Bezug auf den Fanatismus speziell geht es mir um die Frage, wie könnte eine anti-fanatische Theorie des Fanatismus präsentiert werden? Und in diesem Kontext ist es mir eben wichtig zu zeigen, dass die Art und Weise, auf die wir Philosophie betreiben, immer durch gewisse Vorannahmen und unserem Verständnis von Philosophie geprägt werden.

4. Frage: Worin würden Sie den epistemischen Wert der Performativen Komponente ihres philosophischen Ansatzes sehen? Und würden Sie sagen, man kann diese Art des Philosophierens sinnvoll abgrenzen von Versuchen wie dem philosophischen Roman, oder das philosophische Theater – Genres, die ja durchaus eine lange Tradition haben.

Ich würde sagen die performative Komponente hat einen eigenen epistemischen Wert, und der liegt zum Beispiel darin, selbst überrascht zu werden, auch von der Form der Diskussion, die sich dem philosophischen Stil anpasst, und unerwartete Reaktionen hervorbringt.

Was die Abgrenzung zum philosophischen Roman und dem philosophischen Theater angeht: Bisher findet das, was ich tue, im akademischen Raum statt und zielt auch darauf eine dezidiert akademische Praxis zu ändern. Das kann sich aber natürlich auch noch ändern.

5. Frage: In der phänomenologischen Position, die sie vorgestellt haben, schien mir das frappierende zu sein, dass sich die Phänomenologin sogar hineinversetzt in die Rolle einer Fanatikerin und dadurch auch Phänomenen wie Gewalt noch irgendeinen Sinn abgewinnen kann. Das steht natürlich im Einklang mit einem Vorwurf, der der Phänomenologie immer wieder gemacht worden ist, nämlich dass sie unpolitisch wäre, oder anfällig für Ideologien, eben weil sie so sehr darauf besteht, eine neutrale Position einzunehmen. Wie würden Sie zu dieser Kritik stehen und zu dem Ansatz der Phänomenologie, sich erstmal möglichst neutral in allemöglichen Phänomene hineinzuversetzen?

Natürlich kann der Anspruch meiner Texte nicht sein, die Phänomenologie in ihrer Gänze zu repräsentieren, sondern es geht um ein exemplarisches Vorgehen. Ich würde aber dennoch sagen, dass der Versuch, etwas neutral zu beschreiben und zu verstehen, noch nicht impliziert, dass ich das Beschriebene nicht auch kritisieren kann. Ich würde mich auch als kritische Phänomenologin verstehen, etwa wenn ich versuche, Phänomene der Misogynie phänomenologisch zu beschreiben.

6. Frage: Ich wollte auch nochmal zu der Möglichkeit des philosophischen Dialogs fragen. Weil in gewisser Weise sind die von Ihnen dargestellten philosophischen Ansätze ja doch auch dargestellt als in sich geschlossene Sprachspiele. Wir können uns verschiedene Hüte aufsetzen und diese Sprache sprechen, aber es scheint nicht wirklich eine geteilte Sprache zu geben, mit der wir uns dann vielleicht auch kritisch, über diese Paradigmen hinweg, auseinandersetzen könnten. Können wir also letztlich nur einander zuhören, und wahrnehmen, was die anderen machen, oder gibt es auch die Möglichkeit, einander zu kritisieren, und falls ja, was wären dann die kritischen Standards, die für solch einen kritischen Dialog geteilt sein müssten.

Es geht mir in meiner Herangehensweise letztlich um Spiegelungen. Wir haben natürlich immer einen bestimmten Standpunkt, von dem aus wir auch andere Standpunkte kritisch betrachten können, und genau das mache ich auch, eben in Bezug auf verschiedene philosophische Traditionen. Ich glaube nicht, dass es nochmal einen Meta-Standpunkt gibt. Es gibt vielleicht Regeln des Diskurses, auf die wir uns einigen können. Auch unsere Kritik geht immer von einem bestimmten Standpunkt aus.

Anmerkung: Ich würde gerne eine Bemerkung zu unterschiedlichen Formen des Pluralismus in der Philosophie machen. Ich denke, man kann einmal Pluralismus innerhalb eines bestimmten Denkstils verfolgen, und das hieße etwa, zum Beispiel im Rahmen eines Seminars, die Verteidigung verschiedener Standpunkte (etwa: Materialismus, Idealismus, Kapitalismus usw.) von den Studierenden einzufordern, ohne dabei eine Satire zu produzieren. Man muss sich dann mit einer Position ernsthaft auseinandersetzen, die einem eventuell gar nicht passt. Man bewegt sich dann aber trotzdem in einem Denkstil, nämlich dem Stil der Apologie oder der „Defense“. Ich denke aber, dass es in der Philosophie auch Denkstile gibt, in denen gar kein Problem gelöst werden soll. Und de facto richten wir unsere Studierenden natürlich auf bestimmte Denkstile ab, in der Philosophie. Aber wir tun das denke ich viel weniger bewusst, als das beispielsweise in den Naturwissenschaften stattfindet. Ich würde sagen der Denkstil in der Astronomie, ist ein ganz anderer als in der Elementarteilchen-Physik, und der Denkstil in der Theoretischen Physik ist nochmal ein anderer. Aber das ist den Physikern auch sehr bewusst, dass sie völlig unterschiedliche Denkstile betreiben. In der Philosophie haben wir ein relativ geringes Bewusstsein für die unterschiedlichen Ziele die mit unterschiedlichen Denkstilen verfolgt werden. Ich denke, wie Feyerabend auch, das Denkstile mit unterschiedlichen Zielen verbunden sind und dass wir in der Philosophie tatsächlich mit unterschiedlichen Denkstilen unterschiedliche Ziele verfolgen, aber dass bei uns dafür das Bewusstsein weniger geschult ist, als bei den Naturwissenschaftlern.

Da stimme ich Ihnen vollständig zu.