Diskussionsfragen zu Thomas Grundmann (Köln): „Wieman Gedankenexperimente methodisch wasserdichtmachen kann: Das Beispiel von Nozicks Erlebnismaschine“

Die Redaktion

Diskussionsfragen zu Thomas Grundmann (Köln): „Wie man Gedankenexperimente methodisch wasserdicht machen kann: Das Beispiel von Nozicks Erlebnismaschine“

Frage: Mir ist nicht ganz klar, ob man in dem speziellen Fall von Nozicks Gedankenexperiment das Experiment in diesem Sinne wasserdicht machen kann. Ich bin mir zum einen nicht sicher, ob der Status-quo Bias durch die Modifikationen wirklich ausgeschlossen werden kann. Es gibt ja Untersuchungen, die ganz deutlich zeigen, dass wir diesen Status-quo Bias haben. Wenn man zum Beispiel Menschen aufklären würde, dass sie ihr Leben lang in einer Simulation gelebt haben, also an einer Erlebnismaschine angeschlossen waren, und sie dann vor die Frage stellt, ob sie in das reale Leben zurückwollen, oder ob man die Erinnerung an dieses Gespräch löschen soll und sie in die Simulation zurückkehren, entscheiden sich die meisten Menschen dafür, in die Simulation zurück zu gehen. Und das schiene mir hier auch nicht ganz ausgeschlossen, denn Ihre Dritte-Personen-Perspektive ist ja dennoch eine Perspektive aus der Realität. Wenn man das jetzt auch noch ausschließen wollte, dann müsste man so etwas in Anlehnung an David Chalmers entwickeln, also sagen, das ganze Leben ist komplett eine Simulation – also es gibt gar kein Außen. Wenn wir das erfahren würden, würden wir dann sagen unser ganzes Leben war sinnlos? Und epistemisch arm, weil alles was wir erlebt haben eine Computersimulation war? – wahrscheinlich eher nicht.

Das sind zwei sehr gute Fragen. Zuerst zum zweiten Punkt: das hängt glaube ich davon ab, ob man mit dem Szenario auch die Auffassung einkauft, dass es keine Täuschung gibt. Wenn wir die Simulation als Täuschung betrachten, dann habe ich ja viele Gründe benannt, warum wir die Nicht-Täuschung als wertvoller vorziehen sollten – nur in ihr würden wir echte Beziehungen zu anderen Menschen eingehen usw. Wenn wir dagegen die Simulation als Nicht-Täuschung betrachten, dann gibt es natürlich immer auch andere Werte, die dann realisiert sind oder realisiert werden können. Dann haben wir ja Kontakt zu dem was wir als andere Menschen verstehen, dann haben wir auch eigene Errungenschaften, dann sind unsere nicht-hedonischen Wünsche erfüllt und so weiter, weil das ja alles nur auf die Innenwelt bezogen ist. Aber dann ist der Hedonismus auch nicht richtig. Also ich glaube egal, ob man die Simulation als Täuschung denkt oder als Nicht-Täuschung, das Argument gegen Hedonismus funktioniert. Das war ja mein eigentlicher Punkt. Und ich glaube damit beschäftigt sich David Chalmers gar nicht, aber der Hedonismus ist glaube ich in beiden Varianten problematisch.

Jetzt zum Status quo: Also es kommt drauf an. Wenn man denkt, der Status-quo-bias bezieht sich vor allem auf das eigene Leben, also, dass ich Angst habe, Dinge aufzugeben, Erfahrungen, Erlebnisse, Kontakte die ich bisher hatte. Dann ist der Status-quo-bias hier ja nicht mehr vorhanden, weil ich von außen draufschaue und ganz neutral andere Leben behandle. Wenn Sie denken, dass auch die Bewertung von anderen Leben abhängt davon, was ich für normal halte, dann wäre es nicht ausgeschlossen – ich bin mir ehrlich gesagt nicht ganz sicher, ob hier der Status-quo-bias im gleichen Maße wirksam ist, das müsste man sich genauer anschauen. Dann müssten wir aber natürlich auch Angst haben, dass ganz viele andere Gedankenexperimente unter demselben Problem leiden, weil sich dann der Status-quo-bias bei der Bewertung fast aller kontrafaktischen Szenarien einmischen würde. Das wäre natürlich katastrophal für Gedankenexperimente im Allgemeinen. Ich kaufe das noch nicht sofort ein, und würde gerne nochmal die empirische Literatur dazu studieren. Also ob der bias wirklich so stark ist, selbst, wenn wir ihn distanziert, aus der Perspektive einer dritten Person, betrachten.

Frage: Das was Sie uns hier angeboten haben, war ja im Grunde ein Gedankenexperiment im Gedankenexperiment. Sie haben gezeigt, was wir tun müssten um dieses Gedankenexperiment wasserdicht zu machen, Sie haben es nur noch nicht getan. Der erste Teil meiner Frage: Aus reiner Neugier, haben Sie das auch praktisch umgesetzt und das Gedankenexperiment durchspielen lassen? Und dann zum zweiten Punkt: Sie haben gesagt, Gedankenexperimente zu entwickeln ist harte methodische Arbeit und da könnte das Gedankenexperiment auch schon mal langweilig werden. Etwas spitz gefragt: Angenommen Sie machen das Gedankenexperiment wasserdicht und ihre Erzählung ist furchtbar langweilig – ist das nur ein ästhetisches oder auch ein epistemisches Problem?

Also das ist jetzt sozusagen anekdotische Evidenz. Ich habe mal in einer Vorlesung die Ursprungsvariante gezeigt, da waren es tatsächlich ungefähr 30%, die gesagt haben, sie würden es gerne mal ausprobieren, von ungefähr 150 Leuten. Und nachdem ich das Gedankenexperiment modifiziert hatte, hat sich nur noch eine Person gemeldet. Das müsste man natürlich experimentell überprüfen, aber hat mir dennoch bereits einen Anhaltspunkt gegeben, dass die Modifikationen einen gravierenden Unterschied machen. Zum zweiten Punkt: mein Verdacht wäre tatsächlich, Langeweile ist hier epistemisch nicht sehr problematisch. Wir sehen, dass wenn ich Recht habe, gewisse Fehlerquellen ausgemerzt werden. Das ist zum Beispiel im Gettier Fall auch ähnlich. In Seminaren sagen Studenten häufig anfangs: „Das kann doch Wissen sein“ und dann erklärt man das ein bisschen ausführlicher, und später sagen sie: „Sie haben Recht, wenn man es so sieht, würde ich doch kein Wissen haben“. Und hier wird eben auch versucht, durch eine detailliertere, umständlichere Formulierung Missverständnisse auszuschließen. Ich halte das für eine epistemische Errungenschaft.

Frage: Wie hängen die verschiedenen Arten von Einwänden zusammen? Sie wollten ja glaube ich nicht sagen, dass die Intuitionen keine Gründe sind und dass sie instabil sind. Könnte man in Bezug darauf neutral bleiben oder was würde folgen, wenn man die ernst nehmen würde? Würde dieses Projekt dann noch Sinn machen oder setzt das voraus, dass wir davon erstmal nichts halten? Andersherum könnte man natürlich fragen: Zeigen diese Fehlerquellen, die Sie aufzeigen, und die Tatsache, dass diese winzigen Framingeffekte dann so große Auswirkungen auf die Intuition haben, nicht in einer gewissen Weise, dass es eben diese Instabilitäten gibt? Wie hängen diese Arten von Einwänden also zusammen?

Ich würde sagen, wenn wir nicht glauben, dass Intuitionen wenigstens prima facie Gründe sind, dann bringen diese ganzen Verbesserungsvorschläge nichts. Sie deuten es ja auch schon an: Man könnte denken: Naja, weil es da alle diese Missverständnisse gibt, erklärt das auch die Instabilität zu einem gewissen Grad. Wenn Leute das Gedankenexperiment unterschiedlich verstehen, dann bewerten sie es eben unterschiedlich. Oder manche Menschen neigen zum Beispiel stärker zum Status-quo-bias als andere. Also die Hoffnung wäre, dass durch eine Reformulierung der Gedankenexperimente eine größere Stabilität erzielt werden könnte. Aber damit kann ich natürlich nicht sicherstellen, dass Intuitionen überhaupt Gründe sind, das muss ich hier voraussetzen.

Frage: Welche Rolle spielt die klassische Unterscheidung von mind und brain in der Reflexion über das Gedankenexperiment? Wenn man aus einer phänomenologischen Perspektive kommen würde, dann könnte man ja sagen, dass Kognition immer verkörpert gedacht werden muss und das körperliche Wesen immer in einer sozialen Einbettung stehen. In welcher Form würde das in der Rekonstruktion des Gedankeneperiments überhaupt noch eine Rolle spielen?

Ja das ist ein guter Punkt, weil es implizieren könnte, dass es vielleicht überhaupt nicht möglich ist, was ich hier anstrebe. Die Möglichkeit, die hier vorausgesetzt wird, ist ja, dass wir die Erlebnisperspektive komplett vom Rest abtrennen können. Wenn das nicht möglich ist, dann wäre im Grunde meine ganze Argumentation überflüssig. Um sie aber zu retten, könnte man sagen: auch wenn es in unserer natürlichen Welt nicht möglich sein mag, bleibt es denkbar, und diese Denkbarkeit zeigt auf, was für potentielle moralische Bewertungen wir vornehmen. Das wird eben explizit gemacht, auch wenn es streng genommen ein Fall ist, der in der realen Welt so nicht vorkommt. Die Idee ist nicht, dass es eine reale Option ist, sondern, dass durch das fiktionale Szenario echte implizite moralische Bewertungen aufgezeigt werden.

Frage: Ich habe eine Frage zur Beurteilung von Theorien im Vergleich von philosophischen Gedankenexperimenten und realen, zum Beispiel physikalischen Experimenten. Also wie würden Sie sagen, sind Gedankenexperimente und wissenschaftliche Experimente in den entsprechenden Theorien miteinander vergleichbar und können Sie kurz rekapitulieren, warum Sie die Notwendigkeitsdingung in Ihre Rekonstruktion des Gedankenexperiments aufnehmen?

Wenn ich mir einen Fall angucke, wie kommt dann so eine Beurteilung zustande? Es ist ja nicht so, dass der Fall da ist und dann gibt es noch eine kontingente Eigenschaft, die hängt sich da plötzlich dran. Sondern irgendwie muss ich vom Fall zur Bewertung kommen. Da scheint es mir so, dass kontrafaktische Szenarien erst mal Nahe liegen. Wäre es etwas anderes als die Wirklichkeit, dann wäre es nicht-p. Das scheint auszureichen. Aber viele von den Gedankenexperimenten, die ich mir angeguckt habe, funktionieren so, dass wir nicht von der aktualen Welt ausgehen, also gucken wie die empirische Welt beschaffen ist, und dann ein paar Sachen verändern und schauen, was nun der Fall wäre. Vielmehr gucken wir uns einen spezifischen Fall an, und fragen uns genauer: was wäre nun in allen Welten der Fall? Das scheint mir einfach eine bessere Beschreibung, von dem was sich phänomenal abspielt, und das sehe ich am besten durch den Begriff der Notwendigkeit eingefangen. Mir scheint, wir gucken uns eine Fallbeschreibung an und werden gewissermaßen durch die Fallbeschreibung gezwungen, eine bestimmte Bewertung abzugeben. Diesen Zwang bilde ich durch das Notwendigkeitsmodell ab. Das sind alles Gründe, die erst mal nichts mit der Analogie zum wissenschaftlichen Experiment zu tun haben.

Frage: Ich habe ein elementares Verständnisproblem, was die Voraussetzung von Nozick angeht, aber auch was Ihren zweiten Verbesserungsvorschlag betrifft. Also den Hedonismus widerlegen zu wollen, klingt so als wollte man den Satz „Alle Menschen streben nach Hedone“ widerlegen, so wie man den Satz „Alle Massen verbeulen den Raum“ widerlegen möchte. Das würde aber bedeuten, aus dem Hedonismus eine deskriptive psychologische Theorie zu machen. Das ist er aber nicht, er ist ein normativer Vorschlag. Die erste Prämisse dieses Vorschlags, die ich gar nicht teilen muss, ist „Richte dein Leben an einem Ziel aus! Wähle das Richtige: entweder Lust oder Gerechtigkeit oder Wahrhaftigkeit.“ Und die Alternative zwischen Eudamonisten, Hedonisten, Erleuchtungsfreunden à la Platon und Pythagoras wirkt eher so, als ob es da einen Marktplatz gibt, wo alle werben „lebt so wie ich!“, aber nirgendwo eine deskriptive psychologische Theorie gemacht wird. Und wenn das gar nicht gemacht wird, ist die Frage, was soll überhaupt „widerlegen“ in diesem Kontext bedeuten? Es scheint in diesem Sinne keine Widerlegung von normativen Vorschlägen zu geben. Entweder ich schließe mich der einen Sekte oder der anderen an, oder keiner. Ihr zweiter Verbesserungsvorschlag ist eher, dass man sich keiner Sekte anschließen soll, weil man manchmal nach Gerechtigkeit strebt, manchmal nach Wahrhaftigkeit, manchmal eben nach Lust. Also ich denke, das ganze Szenario hat nur Sinn, wenn ich das nicht mehr normativ, sondern als Psychologie betrachte.

Zunächst: Ich selber bin ja kein Hedonist. Was das Normative betrifft, denke ich, dass es eben andere Werte gibt, die der Hedonismus ausblendet. Das Gedankenexperiment soll zeigen, dass der Hedonismus unplausibel ist, weil wir, wenn wir uns an die Erlebnismaschine anschlössen, vieles davon aufgeben müssten, was wir für wertvoll halten. Und es geht mir ja nicht um die psychologische Motivation dabei, sondern um die normativen Bewertungen. Intuitive Urteile zeigen hier eben nicht, wonach wir streben, sondern was wir für unser Leben als wertvoller erachten. Das sind ja normative Urteile, und die ermöglichen jetzt als Testgrundlage eine Theorie zu bewerten.

Aber fragen Sie tatsächlich was wir sollen oder was wir de facto tun?

Nein, „Sollen“ kommt erst mal gar nicht vor bei mir, es kommen Werte vor, aber Werte sind nicht einfach Fakten. Da geht es um Bewertung. Wenn man Leute fragt, ist simuliertes oder realisiertes Leben ein besseres Leben für Sie selbst? Diese Bewertung folgt nicht aus der Psychologie. Die kann auf Umwegen solche Sollens-Sätze vielleicht sogar stützen, da müsste man gucken wie Werte und Sollen zusammenhängen. Aber erst mal ist das eine Wertaussage und deshalb kann das nicht auf die Psychologie reduziert werden.

Frage: Sie erwähnen in Ihrem Paper, dass zwei Theorien über Intuitionen zur Auswahl stehen könnten, eine stärkere und eine schwächere. Aber sie entscheiden sich für die stärkere. Ich frage mich: Wenn wir uns für schwächere Theorie entscheiden würden, dass Intuitionen nämlich Dispositionen oder Motivationsgründe für die Suche nach normativen Gründen sind, dann fallen diese Wahrheitsbeurteilungen, diese normativen Werte, heraus. Weil Intuitionen dann eigentlich die Funktion hätten, Motivation zu liefern. Da frage ich mich, ob das Ihren Gedankengang nicht verändern würde.

Ich habe natürlich eine umfassende Verteidigung auch von dem was Intuitionen sind. Ich denke Intuitionen sind wahrnehmungsähnliche, intellektuelle Eindrücke, die wir haben und die stützen als Gründe die Urteile. In der schwächeren Theorie würde man sagen, da gibt es Urteile, die verdanken sich einer gewissen Disposition. Dispositionen führen zu vielen Urteilen und die könnte man auch epistemisch bewerten. Da könnte man sagen, das sind zuverlässige Quellen von Urteilen. Ich will das nicht. Ich will sagen, das sind eigene mentale Zustände, die dann den Inhalt begründen.

Frage: Meine Frage betrifft die logische Äquivalenz als Verbesserungsmaßnahme. Sie haben gesagt, wir müssen davon ausgehen, dass die Situation an die Maschine angeschlossen zu sein und die Situation im realen Leben zu sein, logisch äquivalent sein müssen. Das heißt, wir bewegen uns in beiden Fällen auf demselben logischen Niveau. Ist das eine Verbesserung oder schon eine fundamentale Veränderung des Experiments? Es geht doch in dem Experiment um eine Wunscherfüllungsmaschine. Und der Reiz, sich daran anschließen zu lassen, liegt doch gerade darin, im Grunde genommen viel mehr Wünsche erfüllt zu bekommen, als im realen Leben. Würde Deine Modifikation des Experiments diese Grundidee nicht maßgeblich verändern?

Du hast vollkommen Recht, der Punkt ist nur, sollte man das so machen, wenn man den Hedonismus widerlegen möchte? Ich habe ja zugegeben, dass sich unter bestimmten Bedingungen jeder an die Maschine anschließen würde. Aber was zeigt das eigentlich? Jedenfalls nicht, dass der Hedonismus richtig ist! Das reicht nicht aus. Und wenn das Gedankenexperiment für den Hedonimus relevant sein soll, muss es geschärft werden. Wenn mir einerseits gesagt wird, ich habe die tollste hedonische Qualität im Unterschied zum realen Leben, dann kann es natürlich sein, dass die tolle hedonische Qualität die mäßige Qualität des realen Lebens übertrumpft. Aber das kann auch der Nicht-Hedonist sagen. Insofern ist das dann vollkommen witzlos. Das ist ja gerade der Fall einer spannenden Geschichte, die letztendlich gar keine Kraft hat, irgendetwas zu zeigen. Die hedonische Qualität nimmt doch alle diese Sachen raus. Ich verfolge eben das Ziel, ein echtes experimentum crucis zu finden.