Unerzählbare Erzählungen erzählen

Štefan Riegelnik

Unerzählbare Erzählungen erzählen

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Einführung

Zu Beginn der Meditationen über die Erste Philosophie (1642) erzählt René Descartes einen kleinen Teil seiner Lebensgeschichte.1 Descartes, Meditationes de prima philosophia. Er erzählt, dass er erkannt hat, dass nicht alles, was er in seiner Jugend für wahr gehalten hatte, er auch zu einem späteren Zeitpunkt als wahr gelten ließe. Dieser Umstand lässt ihn grundlegend an der Möglichkeit einer gesicherten Erkenntnis über die Welt um ihn herum zweifeln. Er sitzt beim Kamin, so erzählt Descartes, er trägt einen Winterrock, er betastet Papier und er wähnt sich in mehrerer Hinsicht in Sicherheit. Eigentlich, so sinniert er, gäbe es keinen triftigen Grund, um sinnvoll daran zu zweifeln, dass er, Descartes, tatsächlich am Kamin sitzt, er tatsächlich einen Winterrock trägt und er tatsächlich mit seinen Händen Papier berührt. Seine Situation, schreibt er, scheint prädestiniert für eine gesicherte Erkenntnis der wahrgenommenen Gegenstände um ihn herum zu sein. Wenn nicht, wie dann? Auch wenn er sich in der Wahrnehmung der Gegenstände von Zeit zu Zeit täuscht, räsoniert er, würde doch nur ein Wahnsinniger bestreiten wollen, dass er, Descartes, Wissen über die Gegenstände seiner Umgebung habe. Aber dennoch muss er klein beigeben. Denn, so führt Descartes aus, er könne nicht ausschließen, dass er zu diesem Zeitpunkt träume, er säße beim Kamin, er trüge einen Winterrock und er berühre Papier. Da er auch kein sicheres Kennzeichen ausmachen kann, das Wachsein von Träumen unterscheidet, schließt Descartes, ist an eine Erkenntnis von der Welt wie sie wirklich ist und den wirklichen Gegenständen in der Welt nicht zu denken. Und darüber hinaus, knüpft Descartes an, kann er auch nicht ausschließen, dass ein böser und listiger Geist ihn systematisch über die Gegebenheiten in der Welt täusche. Mit dieser scheinbar harmlosen Erzählung schafft es Descartes, ein nachhaltiges Problem aufzuwerfen, das Philosophinnen und Philosophen bis heute beschäftigt und mit denen er unser Wissen von der Welt um uns herum grundlegend in Frage stellt.

Eine in diesem Zusammenhang in unterschiedlichen Varianten vorgetragene Erwiderung gegen die in dieser Erzählung erhobenen skeptischen These lautet, dass eine Skeptikerin die Erzählung nicht verständlich formulieren könnte, wenn sie denn zutreffen würde, da sie nicht über die dafür benötigten begrifflichen Mittel verfügen würde. Oder, um es aus der Perspektive einer Interpretin zu formulieren: Eine Interpretin würde die Erzählungen nicht verstehen, wenn die vorgebrachten skeptischen Einwände zutreffen würden. Oder, vielleicht neutraler formuliert, auch wenn die Worte der Form nach sinnvoll zu sein scheinen, hätten sie keine Bedeutung beziehungsweise nicht die, die man ihnen zuspricht, wenn die Erzählung wahr wäre. Damit soll der skeptische Einwand gegen unsere Wissensansprüche widerlegt werden. Denn schließlich, so die Annahme, kann die Skeptikerin die Erzählung formulieren beziehungsweise verstehen wir die von der Skeptikerin vorgetragene These. Daher müssen wir annehmen, dass es Gegenstände in der Welt unabhängig von uns gibt und wir um diese Gegenstände auch wissen. In diesem Beitrag möchte ich die Struktur des Arguments nachvollziehen und kritisch hinterfragen. Im Zuge dessen werde ich auch auf die Begriffe Erzählung und Verstehen eingehen.

Erzählungen und Verstehen

Roland Barthes und andere Philosophinnen und Philosophen haben zu Recht darauf hingewiesen, dass Erzählungen ubiquitär sind.2 Barthes, Das semiologische Abenteuer, S. 102 : „… die Erzählung beginnt mit der Geschichte der Menschheit; nirgends gibt und gab es jemals ein Volk ohne Erzählung; alle Klassen, alle menschlichen Gruppen besitzen ihre Erzählungen […].”. Dies macht eine exakte und zugleich erhellende Bestimmung des Begriffs Erzählung nahezu unmöglich. Denn entweder sind die Kriterien dafür, was unter den Begriff der Erzählung fällt, zu eng gefasst oder man gleitet ins Triviale ab. Das liegt auch daran, dass jene sprachliche Äußerungen, die man gemeinhin nicht als Erzählung auffassen würde, etwa mathematische Beweise oder auch philosophische Argumente, auch in der Form einer Erzählung vorbringen kann. Ob dieser Schwierigkeiten begnüge ich mich daher mit einigen allgemeinen Anmerkungen zum Begriff der Erzählung und wie ich sie für den Fortgang meiner Argumentation als sinnvoll und notwendig erachte. Ich konzentriere mich auf sprachliche Erzählungen, auch wenn ähnliche Überlegungen auf andere Träger von Erzählungen wie Bilder umgelegt werden können).3 Vgl. Wollheim, Painting as an Art. Gérard Genette folgend sind mit einer Erzählung schriftlich oder mündlich getätigte Aussagen gemeint, die von einer Reihe von realen oder fiktiven Ereignissen berichten.4 Genette, Die Erzählung, S. 11 : „… bezeichnet Erzählung die narrative Aussage, den mündlichen oder schriftlichen Diskurs [discours], der von einem Ereignis oder eine Reihe von Ereignissen berichtet.”. Ich werde im Folgenden „Aussage“, „Äußerung“ und „Satz“ gleichbedeutend verwenden und meine damit sowohl ihre schriftliche als auch mündliche Form. Von dieser Bestimmung unterscheidet Genette die Erzählung als „Abfolge der realen oder fiktiven Ereignisse, die den Gegenstand dieser Rede ausmachen“ (Genette 2010, 11).5 Genette, Die Erzählung, S. 11 : „In einem zweiten, weniger verbreiteten Sinn, der heute aber bei den Analytikern und Theoretikern des narrativen Inhalts üblich geworden ist, bezeichnet Erzählung die Abfolge der realen oder fiktiven Ereignisse, die den Gegenstand dieser Rede ausmachen, und ihre unterschiedlichen Beziehungen zueinander – solche des Zusammenhangs, des Gegensatzes, der Wiederholung usw.”. Zuletzt hebt Genette noch den Akt des Erzählens hervor.6 Genette, Die Erzählung, S. 11 : „… bezeichnet Erzählung noch ein anderes Ereignis: diesmal nicht mehr das, von dem erzählt wird, sondern das, das darin besteht, dass jemand etwas erzählt: den Akt der Narration selber.”. Während Genette drei Begriffe unterscheidet, die durch das Wort „Erzählung“ zum Ausdruck kommen, möchte ich die hier von ihm erwähnten Bestimmungen als Aspekte einer jeden Erzählung auffassen. Dem folgend schließt eine Analyse einer Erzählung auch immer eine Analyse des Zusammenspiels dieser Aspekte ein. So rückt etwa der Akt des Erzählens bei fiktiven Erzählungen in den Mittelpunkt, da auch die fiktionale Existenz der Handlung vom Akt des Erzählens abhängt.

Welche weiteren Kriterien mit welchen Absichten auch immer ausgewählt werden, um Erzählungen von jenen Formen sprachlicher Werke abzugrenzen, die keine Erzählung sind, und welche weiteren Aspekte einer Erzählung auch immer für die Analyse ausgewählt werden: Erzählungen werden verstanden oder interpretiert. Auch wenn es eine triviale Bemerkung zu sein scheint, Erzählungen als sprachliche Äußerungen aufgefasst haben Bedeutung. Anders gesagt, wenn etwas nicht verstanden werden kann, dann kann es auch nicht als eine Erzählung eingestuft werden. Es mag Gegenstand von Debatten sein, wie eine Erzählung zu verstehen ist, aber dies setzt immer ein bestimmtes Verstehen voraus, dass in einer solchen Auseinandersetzung zur Debatte gestellt wird. Als Kriterium für das Verstehen einer Erzählung dient etwa die Möglichkeit, die Erzählung mit eigenen Worten paraphrasieren zu können oder – um auf eine in der Philosophie weit verbreitete Auffassung hinzuweisen – die Wahrheitsbedingungen der eine Erzählung bildenden Äußerungen angeben zu können. Daran anknüpfend kann eine Erzählung auch als Kommunikation zwischen einer Erzählenden und einer Interpretin der Erzählung aufgefasst werden. Barthes schreibt etwa:

Ebenso wie es innerhalb der Erzählung eine wichtige Austauschfunktion gibt (verteilt auf Adressant und Adressat), ist die Erzählung, als Objekt, in homologer Weise Gegenstand einer Kommunikation: es gibt einen Adressanten der Erzählung und einen Adressaten der Erzählung: Bekanntlich setzen in der sprachlichen Kommunikation ich und du einander absolut voraus; desgleichen kann es keine Erzählung ohne Erzähler und ohne Zuhörer (Leser) geben.7 Barthes, Das semiologische Abenteuer, S. 125 .

Das von Barthes skizzierte Bild einer dreiecksförmigen Interaktion besteht aus der Adressantin einer Erzählung, der sinnvollen Erzählung selbst und der Adressatin der Erzählung. Diesem Bild möchte ich das Modell einer dreiecksförmigen Interaktion zwischen einer Sprecherin, ihrer Äußerung und einer Interpretin der Äußerung unterlegen. Dieses Modell ist allgemeiner und grundlegender, umfasst es doch auch jene sprachlichen Äußerungen, die nicht als Erzählung klassifiziert werden.8 Auch wenn ein solches „Dreieck” natürliche Sprachen unzureichend beschreiben sollte, etwa weil ein übergeordnetes, soziales Element der verwendeten Wörter fehlt, dient es mir hier als Ausgangspunkt für weitere Überlegungen. Dem skizzierten Modell möchte ich hier noch eine weitere Ebene hinzufügen: Nämlich die dreiecksförmige Interaktion der involvierten Personen und Gegenstände, die in der ähnlichen Reaktion auf ähnliche Gegenstände besteht. Diese Ebene ist als Bedingung der Möglichkeit von Verstehen aufzufassen und wurde von Ludwig Wittgenstein, W.V.O. Quine und Donald Davidson ausführlich erarbeitet und diskutiert.

Insbesondere bei Davidson ist die Idee zu finden, dass ähnliche Reiz- und Reaktionsmuster Bedingung für das Verstehen von sprachlichen Äußerungen sind. Dies dient folglich auch als Argument gegen skeptische Einwände wie sie Descartes vorbringt. Denn, so Davidsons Argument, hier kurz skizziert, das gegenseitige Verstehen und das Haben von Gedanken9 Der Ausdruck “Gedanke” fungiert hier als Überbegriff und bezieht Überzeugungen, Meinungen etc. ein. setzen den Begriff des Gedankens voraus. Über den Begriff des Gedankens zu verfügen heißt, die Fähigkeit zu haben, anderen Personen Gedanken mit einem bestimmten Inhalt zuzuschreiben. Dafür muss man die Person wiederum verstehen. Denn, um diesen Gedanken weiter auszuführen, die Sprecherin tätigt eine bestimmte Äußerung, weil sie mit dieser das ausdrückt, wovon sie überzeugt ist und der Interpretin mit dieser oder jener Absichten ihre Überzeugung mitteilen möchte. Aus der Perspektive der Interpretin bedeutet dies, dass sie die Äußerung versteht, wenn sie die mit einer Äußerung ausgedrückten Gedanken der Sprecherin herausfindet. Diese gegenseitige Abhängigkeit scheint eine prinzipielle Hürde für das Verstehen darzustellen. Eine Möglichkeit, diese Abhängigkeit zu durchbrechen, ist die Überlegung, Gedanken mit einem bestimmten Inhalt aufgrund der Beobachtung der Umgebung und der Reaktionen der Sprecherin auf Gegenstände in dieser Umgebung zuzuschreiben. In einem sehr allgemeinen Sinn sind Gegenstände in der Umgebung Ursachen für Gedanken und die Identifizierung dieser Ursachen dient auch der Bestimmung des Inhalts der Gedanken der Sprecherin. Ein anderer Zugang zum Inhalt der Gedanken und folglich zur Bedeutung der Äußerung scheint ausgeschlossen zu sein, zumal das Verstehen der Äußerung nicht vorausgesetzt werden kann, um so den Inhalt der Gedanken der Sprecherin herauszufinden. Positiv gewendet und immer noch sehr skizzenhaft: Die Interpretin ordnet aufgrund der gegebenen Umstände und den Einstellungen der Sprecherin zu diesen Umständen und Gegenständen den Äußerungen der Sprecherin Wahrheitsbedingungen zu. Diesem Modell zufolge ist es eine Bedingung für das Verstehen, dass es Gegenstände der Außenwelt gibt und sowohl Sprecherin als auch Interpretin hinreichend ähnlich auf ähnliche Gegenstände reagieren. Zusammengefasst:

Without this sharing of reactions to common stimuli, thought and speech would have no particular content–that is, no content at all. It takes two points of view to give a location to the cause of a thought, and thus to define its content. We may think of it as a form of triangulation: each of two people is reacting differentially to sensory stimuli streaming in from a certain direction. Projecting the incoming lines outward, the common cause is at their intersection. If the two people now note each other’s reactions (in the case of language, verbal reactions), each can correlate these observed reactions with his or her stimuli from the world. A common cause has been determined. The triangle which gives content to thought and speech is complete.10 Davidson, „Three Varieties of Knowledge“, S. 212 f.

Daher, so Davidson, ist der von Descartes aufgebrachte allgemeine Skeptizismus in Bezug auf unsere Wahrnehmungsfähigkeiten fehlgeleitet. Ähnliche Argumente können mit anderen Ansätzen und Theorien zur Erklärung des Verstehens von Äußerungen formuliert werden. Die Gegenstände in der Umgebung fungieren als Ursachen (im weitesten Sinne) für das Für-Wahr-Halten eines bestimmten Gedankens und ebendiese Gedanken bilden wiederum die Ursache von Äußerungen.

Akzeptiert man dieses Modell zur Erklärung des Verstehens einer Äußerung, dann scheint die skeptische These, wir hätten kein Wissen von der Welt, weil wir nicht ausschließen können, dass wir von den Gegenständen um uns herum nur träumen oder von einem bösen Geist getäuscht werden, unterminiert zu sein. Um es auf die Ebene der Erzählung anzuwenden und um das Argument auf einen Punkt zu bringen: Die Erzählung, die Descartes anführt, kann nicht wahr sein, da man dann seine Erzählung nicht verstehen würde: Descartes scheint in der Hinsicht eine unerzählbare Erzählung zu erzählen, da sie die Grenzen des Verständlichen überschreitet.

Diesem Einwand gegen die skeptische These widerspricht allerdings der Umstand, dass wir auch fiktive Erzählungen verstehen. Denn der Verweis auf die Notwendigkeit einer gemeinsamen Welt und ähnlicher Reaktionen auf die Gegenstände in der Welt als Bedingung der Möglichkeit des Verstehens mag zwar einleuchten. Aber da wir auch Erzählungen verstehen, die von fiktiven Ereignissen berichten und auf Gegenstände verweisen, die nicht real sind und folglich nicht Ursache von Gedanken sein können, können wir uns nicht nur an Gegenständen orientieren, zu denen wir in einer kausalen Beziehung stehen können. Dadurch wird nochmals die Frage nach den Grenzen des Verstehens und die Möglichkeit der Bestimmung solcher Grenzen aufgeworfen.11 Die Debatte um Eigennamen in fiktionalen Erzählungen scheint eine Variante dieses Problems zu sein. Denn nimmt man an, dass Erzählungen im Wesentlichen Sätze sind, und Sätze mit Namen ohne Bedeutung ob der fehlenden Referenz keine Bedeutung haben, müsste man annehmen, dass diese Erzählungen dann auch nicht verstanden werden. Das erscheint allerdings absurd zu sein, die Unzahl an literarischen Werken spricht Bände. Allerdings werde ich mich mit diesem spezifischen Problem hier nicht weiter beschäftigen.

Der Skandal und sein Charme

Descartes erzählt eine Geschichte und führt im Zuge dessen die skeptische Methode ein, auch wenn er selbst kein Skeptiker ist.12 Vgl. Williams, „The Sense of the Past“. Für die Erzählung ist es auch zweitrangig, ob sich die Geschichte tatsächlich so zugetragen hat und ob Descartes tatsächlich am Kamin saß und besagte Dinge getan und gedacht hat. Es handelt sich um eine Erzählung und diese kann fiktiv sein beziehungsweise fiktive Elemente beinhalten. Descartes führt auf diese Art die nachvollziehbare, oder scheinbar nachvollziehbare, These ein, dass wir von der Welt, den Gegenständen und deren Existenz kein gesichertes Wissen haben und die Annahme, es gäbe Gegenstände in einer von uns unabhängigen Welt nicht akzeptiert werden muss. Wie er in der zweiten Meditation ausführt, möchte er sich auch nicht vom gewöhnlichen Sprachgebrauch irreführen lassen, und er möchte nicht annehmen, dass Gegenstände unabhängig von uns tatsächlich existieren, auch wenn der Sprachgebrauch („Ich sehe den Tisch“) es nahelegt.13 Ebd., S. 93 : „Indessen wundere ich mich, wie sehr doch mein Denken zu Irrtümern neigt; denn wenngleich ich das Obige schweigend und ohne zu reden bei mir erwäge, bleibe ich doch an den Worten hängen und lasse mich beinahe durch den Sprachgebrauch beirren. Sagen wir doch: wir sehen das Wachs selbst, wenn es da ist, und nicht: wir urteilen nach der Farbe und der Gestalt, daß es da sei.“ In Descartes’ Erzählung fungiert der Skeptiker als Figur, die die Wissensansprüche über die von uns unabhängige Welt grundsätzlich und mit guten Gründen in Frage stellt. Der Skeptiker bestreitet somit die Legitimität der Wissensansprüche. Spätestens seit Descartes ist es eine immer wieder diskutierte Frage in der Philosophie, wie wir begründetes Wissen von einer von uns unabhängigen Welt erlangen können. Oder, um es aus einer anderen Perspektive zu betrachten, es ist ein drängendes Anliegen nachzuweisen, dass die These, wir hätten keine gesicherte Erkenntnis der Welt und der Gegenstände um uns herum, falsch ist.

Kant erachtete es als Skandal der Philosophie, dass der skeptischen These noch nicht adäquat widersprochen werden konnte.14 Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. XXXIX : „[…] so bleibt es immer ein Skandal der Philosophie und allgemeinen Menschenvernunft, das Dasein der Dinge außer uns (und denen wir doch den ganzen Stoff zu Erkenntnissen selbst für unseren inneren Sinn her haben) bloß auf Glauben annehmen zu müssen, und, wenn es jemand einfällt es zu bezweifeln, ihm keinen genugtuenden Beweis entgegenzustellen zu können.“ Richtet sich die Empörung bei Kant an Philosophinnen und Philosophen, noch keine zufriedenstellende Erwiderung auf skeptische Einwände gefunden zu haben, wird die Empörung bei Heidegger durch den Umstand hervorgerufen, dass sich Philosophinnen und Philosophen überhaupt noch mit diesen Überlegungen beschäftigen und den Skeptiker mit seinen kruden Ideen nicht einfach sein lassen.15 Heidegger, Sein und Zeit, S. 205 : „Der ‚Skandal der Philosophie‘ besteht nicht darin, daß dieser Beweis bislang noch aussteht, sondern darin, daß solche Beweise immer wieder erwartet und versucht werden.“ In der Tat könnte man berechtigterweise fragen, warum man sich überhaupt mit der skeptischen These, wie sie Descartes vorbringt, beschäftigen sollte. Man kann etwa auf die fehlende Bedeutsamkeit der These verweisen, wenn es um die Bewältigung des Alltags geht. Denn nehmen wir den Fall an, dass wir eine Person in einer uns unbekannten Stadt fragen, ob sie den Weg zum Bahnhof wisse und uns diesen netterweise weisen könnte. Antwortet besagte Person, sie wisse es nicht, weil sie nicht wisse, ob sie wach sei oder träume, und folglich gar nicht wisse, ja nicht wissen kann, ob der Bahnhof tatsächlich existiert und folglich auch nicht wissen kann, welchen Weg wir nehmen sollen, dann würden wir diese Person, gelinde gesagt, nicht ernst nehmen. Normalerweise würde eine Person, die den Weg nicht kennt, aber trotzdem nett und hilfsbereit sein möchte, ein Hilfsmittel wie eine Straßenkarte zurate ziehen oder sie würde uns an eine andere, hoffentlich kompetente Person verweisen, diese selbst um Rat fragen oder sich ob ihrer eigenen Unwissenheit entschuldigend von dannen machen. Eine solches Vorgehen wäre nachvollziehbar und die Antwort auch verständlich. Aber in einer solchen Situation anzuführen, man wisse nicht, wo der Bahnhof sei, da man nicht wisse, ob man wach sei oder träume, ist absurd. Dementsprechend könnte man auch meinen, dass die skeptische These ob ihrer Bedeutungslosigkeit irrelevant sei.

Man kann durchaus auf den Umstand verweisen, dass wir in Situationen des Alltags sehr gut zwischen Traum und Wirklichkeit, Sein und Schein, Erkenntnis und Einbildung unterscheiden können und auch wissen, wann wir welchen dieser Begriffe verwenden sollen. Allerdings ist von einem philosophischen Standpunkt aus gesehen ein solcher Verweis auf den Alltag irrelevant, hat sich doch das philosophische Problem, das Descartes aufwirft, gar nicht erst gestellt beziehungsweise wissen wir noch nicht, wenn wir behutsam vorgehen, wie das philosophische Problem zu verstehen ist. Daher kann der Verweis darauf, dass wir im Alltag dieses oder jenes wissen,16 Vgl. Moore, „Proof of an External World“. auch keine Erwiderung sein.

Dies wirft zunächst die Frage auf, was denn das Besondere an einem philosophischen Problem sei. Thompson Clarke verweist auf die Allgemeinheit und Grundsätzlichkeit der philosophischen Frage, ob wir jemals Wissen von den Gegenständen um uns erlangen können, wenn wir die Frage nicht klären können, ob wir wach sind oder träumen:

What are we (philosophers) asking? Our special interest, it might be suggested, is whether we can know that there are material objects, and this question is philosophical when asked in the light of our peculiarly philosophical worry about dreaming and hallucinating. The question we really want to ask, the underlying issue, is, Can we ever know that we’re not dreaming?17 Clarke, „The Legacy of Skepticism“, S. 758 .

Der Verweis auf die Allgemeinheit und Grundsätzlichkeit beantwortet allerdings nicht die Frage, wie die skeptische These zu verstehen sei (falls wir sie überhaupt verstehen). Wenn wir mit Descartes skeptisch fragen, ob uns unsere Sinne grundlegend täuschen können, dann ist die Frage anders gemeint wie etwa die Frage, ob es in Italien Bären gibt oder nicht. In diesem Fall würde man entweder ein Lexikon konsultieren, oder – falls ein tiefes Interesse daran besteht, weil man zum Beispiel eine auf Bären spezialisierte Zoologin ist – man legt sich an bestimmten Stellen auf die Lauer oder sucht an diesen Stellen nach bestimmten Spuren. Auch wenn ich nicht suggerieren möchte, dass es in einer solchen Situation keinen Grund für begründete Zweifel gibt und Zweifel gar nicht sinnvoll vorgebracht werden können: Der Verweis auf die Möglichkeit eines Traumes oder einen bösen Geist, der grundlegend und allgemein die Möglichkeit einer Erkenntnis in Frage stellt, wäre fehl am Platz.

Wie auch immer die philosophische Problemstellung zu verstehen sei, die Descartes aufwirft, sie hat auch ein Pendant im Kontext des Alltags. So kann man sich durchaus ein Schlaflabor vorstellen, in dem mit Schlafmitteln hantiert wird und man an sich selbst untersucht, welchen Einfluss ein bestimmtes Mittel nimmt.18 Clarke, „The Legacy of Skepticism“, S. 758 . In dem Fall scheint es berechtigt zu sein, sich zu fragen, wie man wissen kann, ob man wach ist oder nicht und diese Frage wird dann wiederum anders zu beantworten sein als die von Descartes aufgeworfene philosophische Fragestellung. Umso wichtiger scheint es daher, eine Antwort auf die Frage nach dem spezifisch philosophischen Charakter der Problemstellung zu finden. Geht man davon aus – und ich denke, man soll auch davon ausgehen – dass es einen solchen Unterschied gibt, kann man diesen Unterschied auch an der Bedeutung der relevanten Aussagen ausmachen. Dass es ein genuin menschliches Bedürfnis gibt, sich mit philosophischen Fragen auseinanderzusetzen, lässt sich schwer bestreiten. Ganz im Sinne Kants schreibt auch Thompson Clarke dazu:

What, then, are philosophical questions? How do they differ from plain questions? Differ they do, and significantly, for the philosophical questions satisfy a deep intellectual need, unfulfilled by their plain versions.19 Clarke, „The Legacy of Skepticism“, S. 759 .

Alternativ könnte man argumentieren, dass es keinen spezifischen philosophischen Charakter einer solchen Frage gibt und wir folglich auch die Tätigkeit des Philosophierens einstellen sollten. Ich werde diese These nicht weiterverfolgen und gehe davon aus, dass es einen solchen Unterschied gibt. Worin auch immer nun der spezifische philosophische Charakter der skeptischen These liegt, wir können diesen zunächst negativ bestimmen: Es handelt sich nicht um ein Problem, das wir im Alltag haben (siehe oben) und entsprechend gibt es auch keine “praktische” oder “alltägliche” Lösung für ein solches Problem:

To philosophize, to step outside the circle of the plain, is to step outside the nonsemantical practice, then, speaking simple English, ask, affirm, assess, but, as a consequence, in unrestricted, untrammeled fashion. The peculiarly philosophical character of questions and propositions is their “purity.” What we ask, or affirm, is what the word with their meanings do per se.20 Clarke, „The Legacy of Skepticism“, S. 760 .

Eine allzu strikte Trennung zwischen einem Alltagskontext und einem philosophischen Kontext – wie auch immer dieser zu verstehen ist – erscheint aus mehreren Gründen dennoch nicht möglich. Es lässt sich schwer bestreiten, dass wir Wörter, die wir in einem philosophischen Kontext verwenden, in einem Alltagskontext gelernt haben. Ausgehend von diesen Situationen des Lehrens und Lernens im Alltag, und dem Sprechen und Verstehen im Alltag stellen wir philosophische Überlegungen bezüglich einer bestimmten philosophischen Problemstellung an. So könnte man in etwa auch Descartes Vorgehen beschreiben.

Ich gehe weiter davon aus, dass das skeptische Szenario, das Descartes entwirft, ein ernstzunehmendes philosophisches Problem darstellt. In der Philosophie des Skeptizismus im 20. Jahrhundert fanden diese Überlegungen ihren Widerhall in den Arbeiten von Thompson Clarke (1972), Stanley Cavell (1979) und Barry Stroud (1984).21 Clarke, „The Legacy of Skepticism“; Cavell, The Claim of Reason; Stroud, The Significance of Philosophical Scepticism. Das Ziel ist, in der Auseinandersetzung mit skeptischen Überlegungen das Verständnis des Begriffs Wissen und seine Anwendung zu schärfen und so ein zentrales Anliegen der Erkenntnistheorie zu erfüllen. Wenn wir diese Auseinandersetzung führen, ist es selbstverständlich, dass diese Fragen über den Status eines Problems des Alltags hinausgehen. Orientiert man sich an der Bedeutung beziehungsweise am Verstehen der relevanten Fragen und Äußerungen, dann schließt das ein, dass man die Äußerungen, die Descartes dem Skeptiker und Philosophen in der Erzählung in den Mund legt, versteht. Aber eben nicht derart, wie man die Äußerungen im Alltag verstehen würde, sondern in der Allgemeinheit und Gründlichkeit, wie es ein Kennzeichen philosophischer Problemstellungen ist (zumindest nach Clarke). Man könnte aber, und so wird das auch oft nahegelegt, diesbezüglich skeptisch sein und meinen, dass auch wenn man die Frage, in einer Alltagssituation gestellt, versteht, dass man die philosophische Frage, ob man den wisse, ob man wach ist oder träumt, eben nicht versteht. Sollte es sich herausstellen, dass wir die philosophische Frage und die philosophische Problemstellung nicht verstehen können, dann kann die These auch nicht mit dem Verweis, dass wir im Alltag dieses und jenes wissen, erwidert werden. Folglich würden sich sowohl jene täuschen, die die These, wir wissen nichts über die Gegenstände um uns als eindeutig falsch einordnen als auch jene, die die These ohne mit der Wimper zu zucken als richtig anerkennen. Aber was heißt hier überhaupt verstehen? Und wie zeigt man, gegebenenfalls, dass man eine solche Geschichte, wie sie Descartes erzählt, nicht versteht?

Verstehen wir oder verstehen wir nicht?

Ich werde nun genauer auf die Frage eingehen, ob wir die Erzählung, die Descartes wiedergibt und in der er die skeptische These aufwirft, überhaupt verstehen. Denn die meiner Meinung nach am überzeugendste Strategie gegen skeptische Einwände lautet, dass wir sprachliche Äußerungen im Allgemeinen und die Erzählung Descartes im Besonderen nicht verstehen würden, wenn die skeptischen Überlegungen zutreffen würden und unsere Sinne uns keine sichere Quelle für Wissen wären. Gerade fiktive Erzählungen scheinen in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung zu sein, gehen sie doch über Erzählungen, die tatsächlich Geschehenes berichten, hinaus. Das Verstehen von Erzählungen scheint aber, wie das Argument vorgibt, dennoch nicht grenzenlos zu sein. Es scheint auch plausibel zu sein, dass wir nicht jedwede vermeintliche Erzählung auch wirklich verstehen können. Aber wie ist das zu verstehen? Wovon hängt es ab, ob wir eine Erzählung verstehen oder nicht? Wie zeigt man, dass man eine Erzählung nicht versteht?

Gegen Descartes’ Erzählung oder vermeintliche Erzählung und die damit erhobenen skeptischen Einwände wird argumentiert, dass wenn die Erzählung wahr wäre, Descartes in der Rolle des Erzählers die Erzählung und andere sprachliche Äußerungen nicht formulieren könnte. Oder, aus der anderen Perspektive: Wir als potentielle Interpreten der Erzählung könnten sie nicht verstehen. Da aber Descartes die Erzählung formulieren konnte und wir sprachliche Äußerungen verstehen, kann die skeptische These in Bezug auf unsere Sinne nicht zutreffen.22 Cavell, „What Is the Scandal of Skepticism?“, S. 133 f.: “Philosophers have often said that skepticism defeats itself, denying a framework of assumption that it must itself assume.”. Um dies Erwiderung anhand des oben skizzierten dreiecksförmigen Modells zu zeigen: Angenommen, unsere Sinne in Bezug auf Gegenstände um uns herum würden uns systematisch täuschen, dann würden wir sprachliche Äußerungen, seien sie mündlich oder schriftlich, nicht verstehen, da wir mangels Beobachtungen der Gegenstände und der Reaktionen der Sprecherin auf diese Gegenstände ihr keine Gedanken zuschreiben könnten.23 Natürlich können auch andere Gründe angeführt werden, warum man glaubt, dass man die Äußerung nicht versteht. Folglich würden wir die Sprecherin nicht verstehen, da wir die Gedanken nicht herausfinden könnten, die die Sprecherin auszudrücken beabsichtigt. Da wir aber in der Lage sind, die Sprecherin zu verstehen, das heißt, ihr Gedanken zuzuschreiben, muss die skeptische These falsch sein.

Das Argument hat die Form einer Reductio ad absurdum. Im ersten Schritt wird aus der zu beweisenden Aussage das Gegenteil gebildet, und dann wird gezeigt, dass diese Hypothese entweder im Widerspruch zu einer unbestrittenen Aussage steht oder aus ihr eine Absurdität folgt. Wir sind dann berechtigt, die anfängliche Aussage zumindest als bestätigt anzuerkennen. Auf das Argument gegen einen allgemeinen Skeptizismus in Bezug auf die Sinne angewendet: Es soll bewiesen werden, dass wir sicheres Wissen von der von uns unabhängigen Welt aufgrund von sinnlicher Wahrnehmung haben. Die Prämisse P1 beansprucht nun das Gegenteil und wird dem Skeptiker in den Mund gelegt. P2 ist eine zusätzliche Prämisse, um zur widersprüchlichen oder absurden Konklusion zu kommen. Zusammengefasst:

P1: Die Sinne in Bezug auf Gegenstände um uns herum täuschen uns systematisch.

P2: Es ist eine Bedingung für das Verstehen sprachlicher Äußerungen, dass wir ähnlich auf ähnliche Gegenstände reagieren.

K: Da wir sprachliche Äußerungen verstehen, kann die skeptische These, wonach uns unsere Sinne systematisch täuschen, nicht wahr sein.

Folgt man dieser Argumentation, ist man allerdings mit folgendem Problem konfrontiert: Das Argument fordert dazu auf, eine Prämisse anzunehmen, die dann zur Konklusion führt, die behauptet, dass man die Prämisse P1 nicht versteht, da man überhaupt keine sprachliche Äußerung verstehen würde. Zieht man diesen Schluss, dann muss man auch eingestehen, dass man P1 auch nicht als Prämisse annehmen kann. Nimmt man hingegen an, wir verstehen die Prämisse P1, das heißt, wir können uns vorstellen, dass die Annahme zutrifft, dann scheint die Konklusion, wir würden sprachliche Äußerungen nicht verstehen, nicht zutreffen. Zumindest eine Äußerung – nämlich P1 – würden wir dann ja verstehen.

Catarina Dutlih Novaes hat (2016) in ihrer Analyse von derartigen Argumenten auf das Problem hingewiesen, mit dem wir konfrontiert sind, wenn wir aufgefordert werden, etwas Unverständliches anzunehmen. Entweder wird ein falscher, aber verständlicher Satz als Prämisse einer Reductio ad absurdum angenommen oder ein Satz, der eine Unmöglichkeit behauptet – das heißt, ein Scheinsatz, der nicht verstanden werden kann. In erster Linie fallen darunter Negationen notwendiger Wahrheiten, aber, wie das Argument gegen die skeptische These vorgibt, auch jene Äußerungen, die systematische Täuschung unserer Sinne behaupten.24 Dutilh Novaes, „Reductio Ad Absurdum from a Dialogical Perspective“: „But matters become considerably more delicate once we are dealing with impossible propositions. While it is not necessarily the case that every reductio argument will start by assuming an impossibility, this is indeed what happens in many paradigmatic cases–certainly if we accept that mathematical truths are necessary truths, and thus mathematical falsities are necessary falsities, i.e. impossibilities. In the Tractatus, Wittgenstein (in)famously claimed that impossibility cannot be expressed, as it cannot be depicted; impossible thoughts cannot be conceived, and impossible propositions cannot be meaningfully formulated.”. Sie erwähnt zwar das Problem, geht diesem dann aber nicht weiter nach.25 Dutilh Novaes, „Reductio Ad Absurdum from a Dialogical Perspective“, S. 2614 : „[…] for my purposes, it is enough to note that this is yet another point where reductio ad absurdum is not a straightforward affair from a philosophical perspective.”.

Im Folgenden möchte ich zeigen, dass man aus dem oben skizzierten Dilemma einen Ausweg finden kann, wenn man untersucht, was ausschlaggebend dafür ist, warum wir glauben, die Prämisse P1 zu verstehen, aber letztendlich doch eingestehen müssen, dass wir sie nicht verstehen. Ich nehme an, dass wir nicht versuchen, den Satz in Isolation zu verstehen, sondern dass der Satz eingebettet ist in eine Reihe von Annahmen und Implikationen. Metaphorisch ausgedrückt, jeder Satz hat seinen Platz in der Sprache26 Davidson, „Truth and Meaning“, S. 22 : „If sentences depend for their meaning on their structure, and we understand the meaning of each item in the structure only as an abstraction from the totality of sentences in which it features, then we can give the meaning of every sentence (and word) only by giving the meaning of every sentence (and word) in the language.”. und ist verwoben mit unseren 231–245 Tätigkeiten und unserer Art zu Leben.27 Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, S. sec. 23 : „[…] das Sprechen der Sprache [ist] ein Teil einer Tätigkeit, oder einer Lebensform“.

Die Annahmen und Voraussetzungen, in die die Äußerung eingebettet ist, lassen uns glauben, dass es sich um eine bedeutungsvolle Aussage handelt. Die Implikationen zeigen dann wiederum die Schwierigkeiten auf, wenn es darum geht, die Äußerung zu verstehen. Um bei den Annahmen anzufangen, die Form der Äußerung von P1 trägt dazu bei, dass wir annehmen, dass es sich um eine bedeutungsvolle Äußerung handelt. Die Wörter kommen einer Interpretin bekannt vor, das Verhalten der Sprecherin wirkt als ob sie etwas ausdrücken möchte und nichts deutet darauf hin, dass sie sprachliches Verhalten lediglich imitieren möchte. Bettet man sie in weitere Überzeugungen der Skeptikerin ein, wird die Äußerung zunehmend plausibler. Es ist nichts Außergewöhnliches, dass wir uns von Zeit zu Zeit täuschen. Ein Gegenstand, etwa ein Bleistift, befindet sich gar nicht da wo wir ihn vermuten, sondern ist nur eine Spiegelung. Natürlich träumen wir auch von Zeit zu Zeit und im Traum erscheinen uns Gegenstände wie ein Bleistift auch als real. Eingebettet in eine solche Erzählung, das heißt, unter der Annahme dieser Voraussetzungen, scheint es durchaus plausibel zu sein, dass wir annehmen, alles sei bloß ein Traum. Auch der Erzählung (beziehungsweise der Fortführung der Erzählung) mit dem böswilligen Geist können wir so Inhalt verleihen. Es ist hier auch zweitrangig, warum genau wir in die Bredouille geraten, in die uns Descartes mit seiner Erzählung bringt (es könnten etwa ungerechtfertigte Verallgemeinerungen sein oder der menschliche Drang, Fragen zu stellen, die über den Alltag hinausgehen).

Wendet man sich den Folgerungen und Implikationen der Äußerung zu, beziehungsweisem dem Versuch, diese auszubuchstabieren, wird man allerdings eingestehen müssen, dass die vermeintliche Interpretation der Aussage dazu führt, dass man letztendlich die Äußerung nicht versteht und nicht verstehen kann, was die Sprecherin ausdrücken möchte. Um das auszuführen: Als wohlwollende Interpretin werden wir zunächst versuchen, die Äußerung zu verstehen. Das heißt, dass ich als ein solcher Interpret zunächst versuchen werden, die ausgedrückten Gedanken in Einklang mit den bereits vorhandenen Gedanken zu bringen und mich so in die Gedankenwelt der Sprecherin einzulassen. Wenn der ausgedrückte Gedanke der Sprecherin im Widerspruch zu den eigenen Gedanken steht, kann ich entscheiden, entweder meine eigenen Gedanken zu revidieren oder zu widersprechen und nach weiteren Gründen zu fragen. In einem solchen Dialog könnte ich sie, die Skeptikerin, fragen, was sie mit Gegenstand meint und sie wird vielleicht antworten, dass sie Tische, Bleistifte und Bücher damit meint, dass sie mit Gegenstand in erster Linie materielle Gegenstände meint, dass wir mit Namen oder Kennzeichnungen auf Gegenstände Bezug nehmen und dass der Begriff Gegenstand ein Sammelbegriff für diese Dinge ist. Die Skeptikerin würde vielleicht auch noch eine Unterscheidung zwischen abstrakten und konkreten Gegenständen treffen wollen und meinen, dass letztere in Raum und Zeit zu finden sind und wir zu ihnen in einer kausalen Beziehung stehen. Spinnt man diese Erzählung weiter – das heißt, man versucht die so ausgedrückten Gedanken zu vervollständigen und kohärent zu erweitern – dann würde man erkennen, dass das Verstehen ab einem bestimmten Punkt abbrechen würde. So könnte man durchaus sinnvoll bezweifeln, dass wenn es keine verlässlichen Wahrnehmungen von materiellen Gegenständen gäbe – das behauptet die Prämisse P1 – ob wir dann noch über den Begriff eines Namens verfügen würden (wie hätten wir denn Namen gelernt?) und folglich würden wir auch nicht über den Sammelbegriff Gegenstand verfügen. Folglich würden wir auch nicht mehr über den Unterschied zwischen abstrakten Gegenständen – und nur denen begegnen wir im Traum – und materiellen Gegenständen, mit denen wir in kausalen Beziehungen stehen, unterscheiden. Und dann hätten wir wohl auch keine Begriffe wie den des Traumes oder den des Geistes mehr, die notwendig sind, um das von der Skeptikerin vorgetragene Szenario zu formulieren beziehungsweise zu verstehen. In diesem Sinne könnte man nun an den Ausgangspunkt zurückkehren und schließen, dass wir die Prämisse P1 nicht verstehen, da wir, um es metaphorisch auszudrücken, uns nicht in diese Gedankenwelt versetzen können, in der die Sprecherin vorgibt, zu sein. Dafür müssten wir mehr und mehr der uns bekannten Begriffe und die damit verbundenen Überzeugungen aufgeben. Möchte man dennoch weiter behaupten, dass dies möglich sei, übersieht man, wie die Bildung der Begriffe, über die wir verfügen, verwoben ist mit den natürlichen und menschlichen Reaktionen auf die Welt und die Gegenstände in der Welt. Wir müssten uns dafür vorstellen, wir wären andere Wesen. Natürlich ist eine solche Metamorphose nicht prinzipiell auszuschließen, aber ich wage zu behaupten, dass eine solche verwandelte Person uns nicht mehr verstehen würde – und vice versa.

Es ist daher angebracht zu sagen, dass wir Descartes’ Erzählung nicht verstehen, da die damit ausgedrückten Gedanken nicht im Einklang mit unseren Überzeugungen zu bringen wären, ohne dass wir grundlegende und mit unserer Lebensform verwobene Handlungen, Einstellungen und Klassifizierungen aufgeben. Verstehen wir die Erzählung von Descartes als Aufforderung, sie zu vervollständigen, werden wir zum Schluss kommen, dass wir eigentlich nicht verstehen können, was der Skeptiker meint. Dies bedeutet natürlich keine generelle Zurückweisung skeptischer Thesen. Denn zu zeigen, dass wir an die Grenzen unseres Verstehens stoßen, kann nur von Fall zu Fall erfolgen. Was ich aber gehofft habe zu zeigen ist, warum wir mit gutem Grund annehmen, dass wir Descartes’ Erzählung verstehen und gleichzeitig, dass wenn wir die Erzählung zu Ende denken, eingestehen müssen, dass wir die Erzählung nicht verstehen.

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