Wie man Gedankenexperimente wasserdicht macht. Das Beispiel von Nozicks Erfahrungsmaschine

Thomas Grundmann

Wie man Gedankenexperimente wasserdicht macht – Das Beispiel von Nozicks Erfahrungsmaschine

Thomas Grundmann

Gedankenexperimente motivieren Urteile über hypothetische Fälle in ihren Betrachtern. Kann dieses Nachdenken im Lehnstuhl über solche bloß fiktiven Fälle eine echte Erkenntnisquelle sein? Kann ein solches Nachdenken also zu gerechtfertigten Meinungen, im besten Fall vielleicht sogar zu Wissen führen? Ein Verteidiger von Gedankenexperimenten als Erkenntnisquelle nimmt normalerweise die beiden folgenden Dinge an: 1.) Theorien, und zwar insbesondere philosophische Theorien, sagen nicht nur etwas über die aktuale Welt aus, sondern haben darüber hinaus eine modale Kraft, sie sagen also, was notwendig oder essenziell ist.1 Das gilt tatsächlich primär für philosophische Theorien, die häufig Thesen mit einem metaphysischen Notwendigkeitsanspruch vertreten. Aber auch wissenschaftliche Theorien beziehen sich nicht nur auf die aktuale Welt, sondern haben auch modale Kraft, zumindest mit Bezug auf alle nomologisch möglichen Welten. Damit enthalten sie nicht nur Aussagen über die aktuale Welt, sondern auch Aussagen über nicht-aktuale mögliche Welten. Aus diesem Grund sind auch Urteile über fiktive, nicht-aktuale Welten für die Wahrheit dieser Theorien relevant. Wer beispielsweise behauptet, dass Wissen als gerechtfertigte wahre Meinung definiert werden muss, der sagt damit nicht nur, dass jeder aktuale Fall von gerechtfertigter wahrer Meinung Wissen ist, sondern auch, dass jeder nur mögliche Fall von gerechtfertigter wahrer Meinung Wissen ist.2 Vgl. Grundmann und Horvath, „Thought Experiments and the Problem of Deviant Realizations“. 2.) die durch Gedankenexperimente ausgelösten Urteile manifestieren nicht einfach irgendwelche Hintergrundmeinungen, sondern davon zu unterscheidende Intuitionen. Während der epistemische Status von Meinungen nur so gut ist wie die Gründe, die diese Meinung stützen, liefern Intuitionen selbst solche Gründe. Man muss also Intuitionen von bloßen Meinungen sorgfältig unterscheiden. Das ist eine notorisch schwierige Angelegenheit, die ich in diesem Aufsatz nicht angehen will.3 Vgl. etwa Grundmann, „The Nature of Rational Intuition and a Fresh Look at the Explanationist Objection“. Wichtig ist nur, dass Intuitionen einen propositionalen Inhalt haben. Man hat also immer die Intuition, dass irgendetwas der Fall ist. Damit können Intuitione im Prinzip Meinungen stützen, so wie propositionale Wahrnehmungen entsprechende Wahrnehmungsmeinungen stützen können.4 Vgl. etwa Pritchard, Epistemological Disjunctivism. Dass Intuitionen nicht durch unsere Meinungen festgelegt sind, kann man am besten erkennen, wenn man sich typische Gedankenexperimente ansieht. Betrachten wir den Gettierfall: Als er erstmals durch Edmund Gettier 1963 aufgebracht wurde,5 Ich sehe hier von historischen Vorläufern dieser Fälle, auch bei Russell, ab. glaubten praktisch alle Erkenntnistheoretiker an die Standarddefinition des Wissens. Sie glaubten also, dass Wissen dasselbe wie gerechtfertigte wahre Meinung ist. Dennoch hatten sie bezüglich von Gettierfällen die Intuition, dass es gerechtfertigte wahre Meinungen gibt, die kein Wissen darstellen. Dass Intuitionen unerwartet und überraschend sind, wenn man von unseren Hintergrundmeinungen ausgeht, zeigt meines Erachtens sehr überzeugend, dass sie nicht einfach irgendwelche Meinungen sind.6 Vgl. auch Grundmann, „Some Hope for Intuitions: A Reply to Weinberg“. Wie gesagt, die Frage, was Intuitionen genau sind, muss hier offenbleiben.7 Es gibt vor allem die Kontroverse zwischen Minimalisten, die Intuitionen als Dispositionen zu Urteilen verstehen (Sosa), und Inflationisten, die in Intuitionen propositionale Zustände sui generis verstehen (Bealer, „Intuition and the Autonomy of Philosophy“; BonJour, In Defense of Pure Reason: A Rationalist Account of a Priori Justification).

Wenn man nun davon ausgeht, dass Urteile über fiktive Fälle nicht irrelevant für die Wahrheit von (philosophischen) Theorien sind, und wenn man weiter davon ausgeht, dass die durch Gedankenexperimente ausgelösten Urteile durch Intuitionen gestützte Urteile sind, dann kann man ganz gut erklären, wie Gedankenexperimente eine eigene Erkenntnisquelle darstellen können. Die Intuitionen können nämlich jetzt als Bestätigungs- oder Falsifikationsbasis von (philosophischen) Theorien dienen. Eine Theorie kann sich entweder bewähren, indem sie mit unseren Intuitionen über mögliche Fälle konvergiert,8 Die positive epistemische Kraft von Intuitionen lässt sich auch als induktive Rechtfertigung der Theorien verstehen. oder sie kann widerlegt werden, wenn sie unseren Intuitionen über mögliche Fälle widerspricht. Gedankenexperimente spielen also als Test von Theorien im Raum des Möglichen eine ganz ähnliche Rolle wie empirische Experimente als Test im Raum des Wirklichen.

Eine besonders prominente Rolle spielen destruktive Gedankenexperimente.9 Vgl. Brown, The Laboratory of the Mind, S. 33 ; Cohnitz, Gedankenexperimente in der Philosophie; Grundmann, „Platonism and the A Priori in Thought Experiments“. Solche Gedankenexperimente sollen zeigen, dass notwendige Implikationen von (philosophischen) Theorien durch Intuitionen über mögliche Fälle widerlegt werden können. Schematisch sieht das etwa Folgendermaßen aus:

(1) T → (Fall → p)

(2) Fall → nicht-p

(3) Also: T ist falsch.

Da es hier um modale Zusammenhänge geht, kann man das folgendermaßen präzisieren:

(1*) T → notwendigerweise (Fall → p)

(2*) notwendigerweise (Fall → nicht-p)

(2+) Fall ist möglich.

(3*) Also: T ist falsch.10 Die Frage, ob die Intuition in (2*) einen notwendigen Inhalt hat, wie hier von mir vorgeschlagen, oder ob es sich um einen kontrafaktischen Inhalt oder eine bloße Möglichkeit handelt, wird in der Literatur kontrovers diskutiert. Eigentlich wäre ein kontrafaktischer Konditional oder eine Möglichkeit bereits ausreichend, um T zu widerlegen. Denn wenn T impliziert, dass in jeder Welt, die die Fallbeschreibung erfüllt, p wahrt ist, dann genügt es zu zeigen, dass die nächste mögliche Welt oder eine mögliche Welt, die die Fallbeschreibung erfüllt, nicht-p ist, um zu zeigen, dass T falsch ist. Gegen die Standardauffassung als kontrafaktischer Konditional (Fall □→ nicht-p) bei Häggqvist, „Thought Experiments in Philosophy“; Cohnitz, Gedankenexperimente in der Philosophie; oder Williamson, The Philosophy of Philosophy. spricht, dass unsere Intuitionen eine gewisse Allgemeinheit an sich haben, dass ihre epistemische Kraft nicht von der Beschaffenheit den zufällig nächsten Welten abhängt und dass sie apriorischer und nicht empirischer Natur ist. Dafür habe ich ausführlich in Grundmann und Horvath, „Thought Experiments and the Problem of Deviant Realizations“ gegen; Williamson, The Philosophy of Philosophy. argumentiert.

Über die genaue modale Ausbuchstabierung von Gedankenexperimenten gibt es viele Kontroversen, auf die ich hier nicht näher eingehen möchte. Ich möchte in dem, was folgt, die obenstehende Formalisierung zugrundelegen. Die Intuition wird in (2*) ausgedrückt. Man sieht intuitiv ein, dass für alle Fälle, die der Beschreibung des fiktiven/hypothetischen Falls entsprechen, nicht-p gilt. Natürlich sollte man nicht davon ausgehen, dass destruktive Gedankenexperimente (philosophische) Theorien zwingend widerlegen können. Generell gilt, Gründe können auch irreführend sein.11 Das zeigt sich daran, dass rationale Meinungen auch falsch sein können. Warum sollte das bei Intuitionen anders sein? Genau wie es Sinnestäuschungen geben kann, kann es auch intuitive Täuschungen geben.12 Bealer, „Intuition and the Autonomy of Philosophy“ und; BonJour, In Defense of Pure Reason: A Rationalist Account of a Priori Justification. führen dafür zahlreiche Beispiele an. Manche Intuitionen erweisen sich als schwach oder nicht intersubjektiv replizierbar oder sie werden in ihrer Kraft als Gründe einfach durch systematische Gründe13 Weatherson, „What Good Are Counterexamples?“ oder stärkere Gegenintuitionen aufgewogen. Die Fallibilität von Intuitionen werde ich in diesem Aufsatz auch einfach voraussetzen. Wenn also Gedankenexperimente eine Quelle von Erkenntnis sind, so bleibt diese Quelle doch fehlbar und anfechtbar.

Abgesehen von generellen Einwänden gegen Gedankenexperimenten als Erkenntnisquellen, die vor allem darauf zielen, dass die evozierten Reaktionen gar keine Gründe sind14 Devitt, Chomsky. oder dass Intuitionen viel zu instabil sind, um zuverlässig zu sein,15 Weinberg und others, „Normativität Und Epistemische Intuitionen“. gibt es nun eine Reihe von spezifischen Fehlerquellen in Gedankenexperimenten, die man systematisch ausschließen muss, um zu guten (erfolgreichen) Gedankenexperimenten zu kommen. Ich habe vor allem drei solche Fehlerquellen im Sinn:

Erstens sind die Beschreibungen der Fälle in manchen Gedankenexperimenten nicht in allen relevanten Aspekten bestimmt, sodass (2*) nicht wahr sein kann, weil der Wahrheitswert von p mit der Ausfüllung der Lücken variiert. Dieses Problem ist notorisch, weil jede Fallbeschreibung natürlich viele Details der Situation (oder sogar ganzen Welt) zwingend offenlassen muss. Es erfordert also einige Sorgfalt, um alle relevanten Aspekte einer Situation in der Beschreibung zu berücksichtigen. Es muss ausgeschlossen werden, dass es deviante Realisierungen der Fallbeschreibungen geben kann.16 Vgl. zu einer konkreten Durchführung dieser Strategie mit Bezug auf den Gettierfall Grundmann und Horvath, „Thought Experiments and the Problem of Deviant Realizations“. Zum Beispiel muss im Gettierfall ausgeschlossen werden, dass es noch nicht-genannte Quellen des Wissens in dem Fall gibt. Ich will hier von der Fehlerquelle der Unterbestimmtheit der Fallbeschreibung sprechen.

Zweitens kommt es häufiger vor, dass die durch die Fallbeschreibung ausgelösten Intuitionen gar nicht relevant sind für die Wahrheit der zu testenden Theorie. Es gilt dann gar nicht, dass die Theorie für den Fall impliziert, dass p, sodass die Intuition (wenn sie besagt, dass in diesem Fall nicht-p auftritt) die Theorie gar nicht widerlegt. Ein klassischer Fall dieser Art ist das Chinesische Zimmer von Searle.17 Searle, „Können Computer Denken?“, S. 31-32 . In diesem Gedankenexperiment soll widerlegt werden, dass die Erfüllung syntaktischer Regeln oder einer bestimmten funktionalen Rolle hinreichend dafür ist, dass die verwendeten Zeichen eine bestimmte Bedeutung tragen. Searle fordert uns auf, uns vorzustellen, dass wir nach einem Manual auf für uns unverständliche Anfragen von außen mit für uns unverständlichen Antworten reagieren. Dann können wir die Regeln des Chinesischen erfüllen, ohne dass wir selbst Chinesisch verstehen. Dass wir, wenn wir diese Rolle im chinesischen Zimmer perfekt erfüllen, kein Verständnis des Chinesischen haben, mag zwar intuitiv richtig sein, aber warum sollte daraus etwas darüber folgen, dass die Zeichen keine chinesische Bedeutung haben? Dass Zeichen, die die Regeln des Chinesischen erfüllen, chinesische Bedeutung haben, impliziert einfach nicht, dass ein Akteur im Inneren des Chinesischen Zimmers diese Bedeutung auch erfasst oder versteht. Es muss also sorgfältig sichergestellt werden, dass die durch das Gedankenexperiment ausgelöste Intuition auch relevant ist für etwas, das durch die zu widerlegende Theorie impliziert wird. Wir müssen sicherstellen, dass auch (1*) wahr ist. In diesem Zusammenhang möchte ich von der Fehlerquelle der Irrelevanz von Intuitionen sprechen. Häufig haben wir eben keine Intuitionen, die der Theorie widersprechen, sondern nur nahe verwandt sind mit etwas, dass dieser Theorie widerspricht.

Drittens kann es passieren, dass sich Intuitionen über einen Fall nicht einstellen, weil der Betrachter die Implikationen des Falles gar nicht voll durchschaut oder verstanden hat. Das kann im Prinzip natürlich immer passieren. Allerdings kann man dem dadurch vorbeugen, dass man die relevanten Implikationen eines Falles so explizit wie möglich macht. Hier möchte ich von der Fehlerquelle unverstandener Fälle sprechen.

Ich möchte nun im Folgenden zeigen, dass Nozicks Gedankenexperiment der Erfahrungsmaschine in der vorliegenden Form Fehlerquellen aller drei Arten enthält oder wenigstens nicht ausschließt. Der Fall ist in der vorliegenden Fassung in relevanter Hinsicht unterbestimmt beschrieben. Der Fall ruft in seiner vorliegenden Fassung irrelevante Intuitionen ab. Und er ist in seiner vorliegenden Fassung auch nicht vollständig transparent in Hinblick auf seine relevanten Merkmale. Das könnte einen zu dem Urteil verleiten, dass Nozicks Gedankenexperiment nicht tauglich ist, um das zu leisten, was es leisten soll. Ich halte diese Bewertung, die von vielen Philosophen geteilt wird, für falsch.18 Eine sehr gute Auflistung von Kritikern der Erfahrungsmaschine findet sich in Bramble, „The Experience Machine“. Tatsächlich kann und sollte man das Gedankenexperiment der Erfahrungsmaschine optimieren, um die genannten Fehlerquellen zu vermeiden. Ich glaube, dass das gelingen kann, und werde vorführen, wie man verfahren muss, um zu einer wasserdichten Version dieses Gedankenexperiments zu kommen. Am Ende werde ich daraus einige generelle Konsequenzen ziehen, wie man Fehlerquellen bei Gedankenexperimenten vermeiden kann. Ich werde zunächst (I) Nozicks Gedankenexperiment darstellen, analysieren und darlegen, was es zeigen soll. Anschließend werde ich die drei Fehlerquellen einzeln durchgehen und zeigen, wie sie durch eine Umformulierung dieses Gedankenexperiments vermieden werden können. In (II) geht es um das Problem der Unbestimmtheit. In (III) geht es um das Problem der irrelevanten Intuitionen. Und in (IV) geht es um das eingeschränkte Verständnis des Falles. Im Fazit werde ich auf generelle Konsequenzen meiner Überlegungen hinweisen.

I

In Anarchy, State and Utopia führt Robert Nozick sein Gedankenexperiment der Erfahrungsmaschine mit folgenden Worten ein:

Nehmen Sie an, es gäbe eine Erfahrungsmaschine, die Ihnen jede Erfahrung eingeben könnte, die Sie möchten. Super-duper Neurospsychologen könnte Ihr Gehirn so reizen, dass Sie glauben und empfinden würden, dass Sie einen großen Roman schreiben, eine Freundschaft schließen oder ein interessantes Buch lesen. Die ganze Zeit über würden Sie sich in einem Tank befinden, mit Elektroden an Ihrem Gehirn. Sollen Sie sich ein Leben lang an diese Maschine anschließen und Ihre Lebenserfahrungen vorprogrammieren? Wenn Sie Angst haben, wünschenswerte Erfahrungen könnten Ihnen entgehen, dann wollen wir annehmen, dass es Unternehmen gibt, die die Erlebnisperspektiven vieler anderer Menschen durchforscht haben. (…) Sie können sich eine aus ihrer großen Bibliothek oder vom Büffet der Erfahrungen aussuchen, indem Sie Ihre Lebenserfahrungen sagen wir für die nächsten zwei Jahre auswählen. Wenn die zwei Jahre um sind, dann haben Sie zehn Minuten oder zehn Stunden außerhalb des Tanks Zeit, um die Erfahrungen der nächsten zwei Jahre auszuwählen. Natürlich haben Sie im Tank keine Ahnung, dass Sie sich dort befinden. Sie werden annehmen, dass alles wirklich passiert. Andere können sich ebenfalls anschließen, um die Erfahrungen erleben, die sie erleben möchten. Es gibt also keinen Grund für Sie unangeschlossen zu bleiben, um den anderen zu helfen. Würden Sie sich an die Maschine anschließen? 19 Nozick, Anarchy, State, and Utopia, S. 42-43 .

Nozick glaubt, dass sich die meisten Betrachter nicht an die Maschine anschließen würden.20 Nozick, Anarchy, State, and Utopia, S. 105 .Ebd., 105. Machen wir uns kurz klar, was hier zur Wahl steht. Das Leben in der Maschine kann so vorprogrammiert werden, dass es ein hedonisches Optimum darstellt für die jeweilige Person. Das Leben in der Simulation hat also die beste subjektive Erfahrungsqualität für die Person, die überhaupt möglich ist. Dabei wird dieses Optimum allein an der subjektiven Erlebnisqualität gemessen. Der klassische Hedonismus buchstabiert das in Form der Lust/Leidens Bilanz aus. Aber man könnte die Erlebnisqualität sicher auch feinkörniger bestimmen.21 Hawkins nennt diese Position Experientialismus. Vgl. Hawkins, „The Experience Machine and the Experience Requirement“. Wichtig ist nur, dass dieses Optimum allein aus der intrinsischen Perspektive gemessen wird. Nichts von den erlebten Dingen muss der Wirklichkeit entsprechen. Allerdings ist die Täuschung in der Simulation perfekt und undurchschaubar. Und das ist wichtig, denn es könnte ja sein, dass die Erlebnisqualität erheblich getrübt wäre, wenn dem Subjekt auch in der Maschine noch klar wäre, dass alles, was es erlebt, nur eine Simulation ist. Wichtig ist auch, dass die Simulation vollkommen selbstgewählt ist und dass durch Stipulation technische Fehlfunktionen der Maschine vollständig ausgeschlossen werden.

Nozick glaubt, dass die Ablehnung eines Lebens in der Maschine zeigt, dass der Hedonismus falsch ist.22 Nozick, Anarchy, State, and Utopia, S. 104 . Was ihm zufolge in der Maschine fehlt, ist der Kontakt mit der wirklichen Welt.23 Nozick, Anarchy, State, and Utopia, S. 106 . Um zu bewerten, ob der Hedonismus durch dieses Experiment widerlegt werden kann, muss man zunächst erläutern, welcher Hedonismus hier das Angriffsziel ist. Üblicherweise wird zwischen drei Versionen von Hedonismus unterschieden. Der psychologische Hedonismus besagt, dass die Vermeidung von eigenem Leiden und die Vermehrung von eigener Lust die einzige handlungsmotivierende Kraft beim Menschen hat. Der moralische Hedonismus besagt, dass für die moralische Bewertung einer Handlung allein die Menge (oder Qualität) von Lust und Leiden relevant ist, die mit der Handlung individuell oder kollektiv verbunden ist. Frühe Utilitaristen waren kollektive moralische Hedonisten. Das Ziel von Nozicks Angriff ist hingegen der Hedonismus des guten Lebens.24 Vgl. in diesem Sinne auch Lin, „How to Use the Experience Machine“ und; Bramble, „The Experience Machine“. Danach ist der Wert, den das Leben für die jeweilige Person hat (sein Wohlergehen oder seine Wohlfahrt) allein durch die subjektive Erlebnisperspektive bestimmt. Dieser Hedonismus des guten Lebens soll durch das Gedankenexperiment widerlegt werden.

Wie sieht diese Widerlegung formal betrachtet aus?

(1) Der Hedonismus des guten Lebens impliziert, dass ein Leben in der Erfahrungsmaschine von den meisten Leuten gewählt wird.

(2) Das Leben in der Erfahrungsmaschine wird nicht von den meisten Leuten gewählt.

(3) Also: Der Hedonismus des guten Lebens ist falsch.25 Eine ähnliche Rekonstruktion findet sich in Hawkins, „The Experience Machine and the Experience Requirement“.

Da es ja nicht um eine reale Wahl von real präsenten Simulationsmaschinen geht, muss diese Formalisierung jetzt noch modal modifiziert werden.

(1*) Der Hedonismus des guten Lebens impliziert, dass das Leben in der Erfahrungsmaschine notwendigerweise von den meisten Menschen gewählt würde.

(2*) Notwendigerweise würde ein solches Leben von den meisten Menschen nicht gewählt.

(2+) Ein Leben in der Erfahrungsmaschine ist möglich.

(3) Also: Der Hedonismus des guten Lebens ist falsch.

(2*) drückt die Intuition aus, die sich beim Betrachter laut Nozick einstellen soll. (2+) möchte ich hier als unproblematisch annehmen.26 Bei manchen anderen Gedankenexperimenten, wie etwa Chalmers Zombie Gedankenexperiment, hängt an der metaphysischen Möglichkeit von Zombies die ganze Beweislast. (1*) ist nicht sofort einsichtig. Dahinter steht das Folgende Hilfsargument:

(H1) Der Hedonismus des guten Lebens impliziert, dass das Leben in der Erfahrungsmaschine notwendigerweise das beste Leben für den jeweiligen Menschen ist.

(H2) Wenn ein Leben in der Erfahrungsmaschine das beste Leben für den Betroffenen ist, dann wählt er es meistens auch.

(1*) Also: Der Hedonismus des guten Lebens impliziert, dass das Leben in der Erfahrungsmaschine notwendigerweise von den meisten Menschen gewählt würde.

II

Sehen wir uns nun zunächst an, wie das Problem der Unterbestimmtheit für Nozicks Erfahrungsmaschine entsteht. Der von Nozick beschriebene Fall sagt nur, dass die Maschine dem Betrachter ein hedonisches Optimum garantiert. Für die Wahl ist aber in jedem Fall relevant, was die Alternative wäre. Und die bleibt in diesem Fall vollständig unerwähnt. Ob (2*) wahr ist, kann aber nur entschieden werden, wenn wir diese Alternativen berücksichtigen. Stellen wir uns beispielsweise vor, dass der Betrachter ein Leben in höllischen Qualen führt. Er könnte unter grausamer Folter oder an höllischen Schmerzen im terminalen Zustand einer Erkrankung leiden. Oder sein Leben könnte extrem eintönig und abwechslungsarm sein. Oder der Betrachter wäre aus irgendwelchen Gründen dauerhaft unglücklich oder depressiv.27 Vgl. Tännsjö, „Narrow Hedonism“, S. 94 ; Belshaw, „Does Reality Matter“. Unter diesen Bedingungen wäre (2*) klar falsch. Da (2*) ein Notwendigkeitsanspruch ist, müssten auch in solchen Situationen die meisten Menschen das Leben in der Realität vorziehen. Und das ist einfach nicht richtig. Kurz: wenn man weitere Details einfügt, dann ist der Notwendigkeitsanspruch mir Bezug auf die Erfahrungsmaschine in der jetzigen Form klar falsch.

Die Wahlsituation sollte deshalb anders beschrieben werden. Um zu sehen, wie sie genau beschrieben werden muss, ist noch ein vorgelagerter Gedankenschritt nötig. Der Hedonist des guten Lebens sagt, dass der Wert des eigenen Lebens (das eigene Wohlergehen) allein von der inneren Erlebnisqualität abhängt. Jeder Gegner dieser Form des Hedonismus muss also nur bestreiten, dass das gute Leben allein von der subjektiven Erlebnisqualität abhängt. Er könnte aber sehr wohl akzeptieren, dass die subjektive Erlebnisqualität ein relevanter Faktor neben anderen ist. In diesem Fall würden andere Faktoren als die subjektive Erlebnisqualität ein gewisses Gewicht bei der Wahl haben, aber sie hätten nicht zwingend das überwiegende Gewicht. Und genau das kann in den eben beschriebenen Situationen plausibel machen, warum die Wahl selbst für den Gegner des Hedonismus für die Erfahrungsmaschine ausfallen kann. Das Leiden an der Wirklichkeit (aufgrund von Schmerzen, Langeweile oder Depression) kann so massiv werden, dass diese negativen Faktoren das unbestrittene Gewicht der Gründe für ein Leben in der realen Welt überwiegen. Das bedeutet, dass die Wahl der Erfahrungsmaschine gar kein idealer Testfall für den Hedonismus ist. Ein idealer Testfall wäre ein Fall, in dem sich die Hedonisten für die Maschine und ihre Gegner gegen ein Leben in der Erfahrungsmaschine entscheiden müssten. Das wäre ein sogenanntes experimentum crucis.

Lässt sich die Wahlsituation in Bezug auf die Erfahrungsmaschine entsprechend umbauen? Ich denke, dass ist relativ leicht möglich. Wir müssen uns dafür die Wahl zwischen einem hedonisch optimalen Leben in der Erfahrungsmaschine und einem hedonisch äquivalenten Leben in der Realität vorstellen. Stellen Sie sich also vor, Sie könnten wählen zwischen einem Leben (A), in dem in der Simulation alle Ihre kühnsten Wünsche nach befriedigenden Erlebnissen erfüllt würde, aber nichts davon der Realität entspricht, und einem Leben (B), in dem alle diese Wünsche auch real erfüllt würden. Der Hedonist des guten Lebens müsste sagen, dass ihm die Wahl egal wäre, dass also beide Alternativen gleich gut wären. Sollten dagegen die meisten Menschen die Intuition haben, dass (B) besser für sie wäre, dann spräche diese Intuition gegen den Hedonismus des guten Lebens.28 Ähnliche Ideen finden sich bereits bei Crisp, Reasons and the Good, S. 118 ; Lin, „How to Use the Experience Machine“; Hawkins, „The Experience Machine and the Experience Requirement“.

III

Sehen wir uns nun das zweite Problem der irrelevanten Intuition an. Nehmen Sie für einen Moment mit mir an, dass sich die meisten Menschen für eine Wahl des realen Lebens (B anstelle von A) in der umformulierten Fassung der Erfahrungsmaschine entscheiden würden. Ist diese Intuition überhaupt relevant für den Test des Hedonismus des guten Lebens? Das wäre nur richtig, wenn

(1*) Der Hedonismus des guten Lebens impliziert, dass das Leben in der Erfahrungsmaschine notwendigerweise von den meisten Menschen gewählt würde.

Aber daran gibt es begründete Zweifel. Die Wahl eines Betroffenen hängt nämlich nicht nur davon ab, was für sein eigenes Wohlergehen das Beste ist.

Klar, werden sie vielleicht sagen, manchmal ist die Wahl eines Menschen eben irrational. Das zeigt sich am besten daran, dass Menschen das kurzfristige Wohlergehen oft längerfristigen Gütern vorziehen. Aber das wird ja durch die Abschwächung in dem Argument in „die meisten Menschen“ (und nicht alle) gut aufgefangen. Aber die wirklichen Probleme liegen hier tiefer. Auch wenn wir uns die rationalen Gründe für die Wahl ansehen, dann sind eben nicht die prudenziellen Gründe (die sich auf das eigene Wohlergehen beziehen) allein ausschlaggebend. Obwohl die prudenziellen Gründe für die Erfahrungsmaschine (oder wenigstens nicht gegen sie - in der modifizierten Version der hedonisch äquivalenten Leben) sprechen, könnten uns andere Gründe rational von der Wahl der Erfahrungsmaschine abhalten.

Hier ist eine kurze Liste solcher Gründe:

(1) Moralische Gründe: Wir könnten aus Rücksicht auf unsere zurückgelassenen Geliebten, Freunde, unselbständigen Kinder, Verwandten oder Anvertrauten vor dem Rückzug in die Erfahrungsmaschine zurückschrecken. Schließlich würden wir diese Menschen dadurch alleine lassen. Das wäre klarerweise rücksichtslos und egoistisch. Aber auch andere moralische Gründe könnten gegen die Erfahrungsmaschine sprechen. Möglicherweise haben wir bestimmte Pflichten wie z.B. durch Versprechen übernommen. Und die verletzen wir eben, wenn wir uns in die Erfahrungsmaschine zurückziehen.29 Wenn wir zum Beispiel jemandem versprechen, ein Darlehen zurückzuzahlen und dann vorher in die Erfahrungsmaschine abtauchen, dann würde dieses Versprechen nicht einfach dadurch erfüllt, dass wir die simulierte Erfahrung machen, dass Darlehen zurückzuzahlen. Oder von uns hängt es ab, dass Schaden vermieden wird, wenn wir Ärzte, Ingenieure oder Wissenschaftler sind.

(2) Gründe aus Entscheidungen unter Unsicherheit. Die Wählenden könnten auch vor einer Wahl der Erfahrungsmaschine zurückschrecken, weil sie trotz Stipulation einer fehlerfrei arbeitenden Maschine dennoch die Befürchtung haben, dass die Maschine aufgrund von technischen Fehlern nicht die gewünschten Erlebnisse liefern könnte. Da die Entscheider auch nicht sicher wissen, dass sich ihre Präferenzen nicht später ändern (und sie möglicherweise später andere Erlebnisse präferieren als die vorprogrammierten) oder dass sie nicht lieber überraschende Erlebnisse haben wollen, könnten sie das gewohnte Leben in der realen Welt der Erfahrungsmaschine vorziehen.

(3) Experimentelle Studien haben gezeigt, dass eine starke Motivation bei der Wahl auch der sogenannte Status-quo-Bias ist. Danach wollen wir lieber am gewohnten Leben festhalten als eine starke Veränderung dieses Lebens in Kauf nehmen. Das gilt selbst dann, wenn die Entscheider darüber informiert werden, dass sie bisher unbemerkt in einer Simulation gelebt haben und nun die Möglichkeit haben, ein auch hedonisch besseres Leben in der Realität zu leben. Selbst unter dieser Bedingung wurde die Fortführung des Lebens in der Erfahrungsmaschine überwiegend vorgezogen, wenn mit dem Aufwachen in der wirklichen Welt eine starke Veränderung des eigenen Lebens verbunden ist.30 Vgl. die experimentelle Untersuchung von De Brigard, „If You Like It, Does It Matter If It?S Real?“ Es könnte also einfach sein, dass die Leute vor dem Eintritt in die Erfahrungsmaschine zurückschrecken, weil damit der status quo gefährdet wäre.

(4) Außerdem kann es weitere Ziele geben, die weder etwas damit zu tun haben, was für das eigene Wohlergehen das Beste ist, noch moralische Gründe liefern - Ziele, die durch die eigene Neugier bestimmt werden oder durch Projekte, die einem am Herzen liegen. Auch diese Ziele würden dagegensprechen, sich in die Simulation der Erfahrungsmaschine zu begeben, in der alle diese Wünsche natürlich unerfüllt bleiben, obwohl man das nicht bemerkt.

Da also die Wahl des eigenen Lebens aus der Perspektive der ersten Person immer auch durch nicht-prudenzielle Gründe, Risikoabwägungen und kognitive Biases bestimmt wird und deshalb Intuitionen über diese Wahl nicht streng mit dem korreliert sind, was für das eigene Wohlergehen das Beste ist, sollte man die intuitive Basis für den Test des Hedonismus ganz von der Wahlsituation entkoppeln. Gerade hier haben wir einen Fall, wo die erstpersönliche Perspektive zu einer signifikanten Verzerrung führen kann. Wir sollten stattdessen zwei abgeschlossene Leben betrachten, von denen das eine ein hedonisches Optimum in der Simulation bietet und das andere dieses Optimum im realen Leben erfüllt.31 Vgl. Crisp, Reasons and the Good; Lin, „How to Use the Experience Machine“; Hawkins, „The Experience Machine and the Experience Requirement“. Die Intuition, dass beide Leben gleich gut sind, würde den Hedonismus stützen, die Intuition, dass das Leben in der wirklichen Welt besser wäre, würde gegen den Hedonismus sprechen.

IV

Betrachten wir jetzt den in zweifacher Hinsicht revidierten Fall der Erfahrungsmaschine. Wir betrachten zwei abgeschlossene Leben aus der Außenperspektive. Betrachten wir zunächst das Leben von Simuline. Aus ihrer Innenperspektive erlebt sie ihr Leben als abwechslungsreich, voller intensiver und beglückender Erlebnisse und Gefühlsmomente und für sie sieht es so aus, als würde sie alles erreichen, was sie sich wünscht. Aus ihrer Erlebnisperspektive bereist sie die Welt, erlebt in jeder Hinsicht erfüllende Beziehungen, ist kreativ, anerkannt und wichtig, und engagiert sich für sinnvolle Projekte. Aber nichts davon entspricht der Wirklichkeit. Tatsächlich lebt Simuline in einer fortdauerenden und undurchschaubaren Täuschung. In Wirklichkeit führt sie ein untätiges Leben in Isolation von anderen Menschen, ohne dass auch nur ein einziges ihrer nicht-hedonischen Ziele durch sie verwirklicht wird. Ihr gegenüber steht das Leben von Realine. Für sie sieht alles genauso aus wie für Simuline. Doch sie bereist die Welt tatsächlich, sie lebt tatsächlich in erfüllenden Beziehungen, wird tatsächlich anerkannt, verwirklicht tatsächlich wichtige Ziele in der Welt und weiß davon. Das Leben von Simuline und Realine unterscheidet sich aus der Erlebnisperspektive gar nicht, aber tatsächlich könnten beide Leben nicht unterschiedlicher sein: Simuline verharrt in Untätigkeit, Isolation und Täuschung; Realine bewegt etwas, lebt in Beziehungen und steht in einer wissenden Beziehung zu ihrer Umgebung. Es gibt also einen klaren (wenn auch für sie unerkannten) Unterschied. Doch ist dieser Unterschied relevant für ihr gutes Leben? Der Hedonist bestreitet das, sein Gegner bejaht es entschieden.

Um die Relevanz der Unterschiede besser zu verstehen, muss man die Implikationen der beiden Fälle besser durchdringen. Wie gesagt, es gibt klare Unterschiede. Aber es ist nicht offensichtlich, ob diese Unterschiede relevant für das eigene Wohlergehen (das eigene gute Leben) sind. Simuline lebt in fortfährender Täuschung. Sie tut nicht das, was sie (moralisch) tun sollte. Das wird vor allem deutlich, wenn Simuline unbemerkt von der wirklichen Welt (in der sie Verpflichtungen gegenüber anderen eingegangen ist) entkoppelt wird. Und ihre Ziele wie das Schreiben von Büchern, das Bauen von Häusern oder die Gestaltung eines Kunstwerkes bleiben systematisch unerfüllt. Macht das ihr Leben zu einem schlechteren Leben als das Leben von Realine? Simuline lebt auch nicht in echten Beziehungen mit anderen Menschen. Dazu würde eine echte Interaktion gehören und ein Wissen um diese Interaktion. Aber nichts davon ist in Simulines fortdauerender Täuschung wirklich. Auch wenn sie es nicht bemerkt. Aber Simulines Leben fehlen noch andere Dinge. Wenn sie z.B. selbstgerichtete nicht-hedonische Wünsche hat, also z.B. den Wunsch danach, eine gute Sportlerin, eine exzellente Wissenschaftlerin oder eine überragende Pianistin zu werden, so bleiben auch diese Wünsche in ihrer Welt unerfüllt. Es sieht zwar für sie so aus, als würde sie alle diese Fähigkeiten durch Bildung und Training erwerben, aber tatsächlich erwirbt sie in ihrem Tank keine dieser Fähigkeiten. Auch die Erfüllung von Simulines hedonischen Wünschen geschieht niemals durch ihre eigene Leistung oder ihren eigenen Verdienst. Es ist nichts, was sie sich selbst zuschreiben könnte. Das wird besonders deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass es zwei unterschiedliche Realisierungsformen der Erfahrungsmaschine gibt. In Nozicks ursprünglicher Version programmiert man einfach die zukünftigen Erlebnisse fest in ein Computerprogramm ein. Das Ganze läuft dann einfach wie ein Film ab, ohne dass es später noch irgendeine Flexibilität gibt. Das schränkt die eigene zukünftige Freiheit außerordentlich ein.32 Ich will hier außer Acht lassen, ob damit die Willensfreiheit ganz verloren geht. Viele Libertarier halten daran fest, dass auch Luther frei war, wenn er sagte „Hier stehe ich und kann nicht anders“. Die wirkliche Freiheit könnte demnach in der ursprünglichen Festlegung liegen. Die steht auch demjenigen offen, der sich außerhalb der Erfahrungsmaschine für ein bestimmtes Programm entscheidet. Besser wäre die folgende Version der Maschine: der Computer wird einfach so programmiert, dass in meinem Erleben jeder zukünftige Wunsch (welcher auch immer später auftritt) in meiner Erlebnisperspektive (narrativ plausibel konstruiert) schnellstmöglich erfüllt wird, in Wirklichkeit jedoch unerfüllt bleibt. Selbst in d ieser zweiten Version erreiche ich die Erfüllung meiner hedonischen Wünsche niemals durch meine eigene Leistung. Es geschieht durch einen Computer (eine Wunschmaschine), die mir alle gewünschten Erlebnisse eingibt, ohne dass ich dafür etwas tun muss. Nun wird jedoch offenkundig, dass Simuline und Realine keine gleich guten Leben führen. Denn nur Realine kann sich selbst zu derjenigen Person machen, die sie sein will, und nur sie verwirklicht ihre Ziele aus eigenem Verdienst. Akteur in diesem Sinne sein zu können, scheint klar für das bessere Leben von Realine zu sprechen.

V

Ich fasse die Ergebnisse noch einmal zusammen. Ich bin davon ausgegangen, dass Gedankenexperimente Intuitionen über mögliche Fälle abrufen und dass diese Intuitionen anders als bloße Meinungen Gründe für oder gegen philosophische Theorien liefern. Im Regelfall sind es Gründe, die zwar nicht zwingend, wohl aber mit einem gewissen Gewicht gegen etablierte Theorien sprechen. Bei diesen Gedankenexperimenten gibt es eine Reihe von Fehlerquellen, die auf der Unterbestimmtheit der Fallbeschreibungen, der Irrelevanz der mobilisierten Intuitionen oder einem nur unvollständigen Verständnis der betrachteten Fälle beruhen. Im Fall von Nozicks Erfahrungsmaschine treten alle drei Fehlerquellen zusammen auf. Ich habe gezeigt, wie man das Gedankenexperiment verändern muss, um sukzessive alle diese Fehlerquellen zu eliminieren. Man muss den Fall so konstruieren, dass er zum echten Testfall für den Hedonismus wird. Man sollte außerdem nur solche Intuitionen zulassen, die auch wirklich aussagekräftig bezüglich der Wahrheit oder Falschheit der untersuchten Theorie sind. Es hat sich gezeigt, dass Intuitionen über das eigene Wahlverhalten diesbezüglich irrelevant sind, weil sie durch zu viele Faktoren bestimmt werden, die mit dem eigenen Wohlergehen gar nichts zu tun haben. Deshalb muss man das Gedankenexperiment von der Wahlsituation aus der Perspektive der ersten Person ganz ablösen und aus der Perspektive der dritten Person konstruieren. Und man muss schließlich sicherstellen, dass die Fälle hinreichend gut durchdrungen und verstanden werden, damit sich eine kompetente Intuition einstellen kann. Dafür muss man die relevanten Implikationen der Fälle explizit herausarbeiten.

Diese Strategie der Fehlerquellenelimination lässt sich auch auf andere Gedankenexperimente übertragen. Generell sollte man vermeiden, die Fälle in relevanter Hinsicht unterbestimmt zu lassen, und stattdessen harte Testfälle zu suchen. Man muss außerdem aufpassen, dass die Intuitionen tatsächlich relevant für die Bewertung der zu testenden Theorien sind und dass die Fälle hinreichend tief verstanden werden in ihren Implikationen. Manchmal wird es so gelingen, ein unzulängliches Gedankenexperiment so in ein erfolgreiches umzuformen. Manchmal wird sich auch zeigen, dass ein scheinbar erfolgreiches Gedankenexperiment letztlich verworfen werden muss, weil die Fehlerquellen eben nicht vollständig ausgeräumt werden können, ohne dass die Intuition verloren geht.

Es lassen sich auch allgemeinere Lehren ziehen. Erstens ist es einfach nicht richtig, dass Gedankenexperimente dann am besten sind, wenn sie aus der Perspektive der ersten Person formuliert werden. Das macht sie vielleicht narrativ besonders spannend und dramatisch, aber es unterminiert eben manchmal auch (wie im Fall der Erfahrungsmaschine) deren Wert als Erkenntnisquelle. Zweitens ist es auch unzutreffend, dass man mit etwas Glück und Kreativität gute Gedankenexperimente genauso wie gute Geschichten einfach findet, sondern dass es harte methodische Arbeit erfordert, ein interessantes und anregendes Gedankenexperiment in eine aufschlussreiche Erkenntnisquelle zu verwandeln. Genau wie empirische Experimente und Messungen nicht einfach vom Himmel fallen, ist ein gutes Gedankenexperiment das Ergebnis sorgfältiger Abstimmung und methodischer Entwicklung.

Literatur33 Insgesamt habe ich dem Vortrag von Elke Brendel und der nachfolgenden Diskussion sehr viele substanzielle Anregungen zur Arbeit an diesem Aufsatz zu verdanken. Vgl. Ebd.

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