(1) Frage: In ihrem Beitrag bezweifelt Wolf, dass dem ontologischen Vermögensbegriff eine wichtige theoretische Rolle bei der Lösung von Problemen zukommt, mit denen sich Aristoteles konfrontiert sah. Aber ist der Begriff für Aristoteles nicht dennoch wichtig, um das Problem der Entstehung (Dinge können nicht aus dem Nichts entstehen, aber auch nicht aus dem, was sie schon sind) und der ewigen Bewegung (ewige Bewegung als eine Aktualität, die nicht die Verwirklichung einer Disposition zur Veränderung ist) zu lösen?
(1) Antwort: Das sind zwei verschiedene Fragen. Was die erste Frage betrifft, ob der ontologische Vermögensbegriff zur begrifflichen Fassung von Entstehung nötig ist, würde ich mich der Interpretation von Jonathan Barnes anschließen, dass der kinetische Vermögensbegriff dafür ausreicht. Beim künstlichen Entstehen, dem Entstehen durch Herstellung, muss vorher geeignetes Material vorhanden sein, welches das Vermögen hat, auf passende Weise zu einem Ding zusammengesetzt zu werden, außerdem die (ebenfalls kinetischen) Vermögen, die für die Verwendung des Dings gemäß seiner Definition/Funktion erforderlich sind. Beim natürlichen Entstehen ist die Lage ohnehin konfus.
Was die zweite Frage betrifft, liegt die Lösung ja im Begriff der energeia, nicht der dynamis, und meine These war gerade, dass Aristoteles den energeia-Begriff in der Tat zur Erklärung der ewigen Bewegung braucht, den ontologischen Dynamisbegriff aber nicht.
(2) Frage: Weiterhin: Ist der ontologische Vermögensbegriff bei Aristoteles nicht auch zentral für die Bestimmung des Wesens von bestimmten Dingen (was das Ding „dem Vermögen nach“ ist vs. was das Ding „der Wirklichkeit nach“ ist) und damit auch relevant für normative Fragen bei Aristoteles?
(2) Antwort: Was das Ding wesentlich, seiner Definition nach ist, wird in der Tat häufig durch seine Vermögen und Fähigkeiten bestimmt, d.h. viele Arten von Dingen, sowohl künstliche wie natürliche, werden durch ihre Funktion definiert. Das machen wir heute auch so, aber ich sehe nicht, dass man dafür einen Begriff des Seins dem Vermögen nach braucht, der Begriff der dynamis im Sinn von Vermögen oder Fähigkeit scheint mir dafür vollkommen ausreichend.
(3) Frage: Wolf zufolge vertritt Aristoteles die Auffassung, dass die Wirkungen der Grundkräfte auf unterster Ebene einem einfachen Ursache-Wirkung-Schema folgen. Bei komplexeren Dingen, wie etwa Lebewesen, folgen die Wirkungen allerdings nicht mehr nur noch einem solchen Schema, sondern nehmen häufig eine teleologische Struktur an. Wie kann dieser scheinbare Sprung von nicht-teleologischen zu teleologischen Strukturen erklärt werden? Ergäbe sich hier nicht eine Erklärungskluft, die Aristoteles nur schwer zu füllen vermag?
(3) Antwort: Die Bewegungslehre des Aristoteles ist ziemlich spekulativ. Es gibt zyklische Bewegungen, schlicht notwendige Abfolgen, und es gibt teleologische Abfolgen, wo die Bewegungen hypothetisch notwendig relativ zu einem Ziel sind. Da Aristoteles annimmt, dass die Grundkräfte, Elemente, Stoffe und natürlichen Arten immer da sind, muss er ja nicht den Übergang vom einen zum andern erklären, sondern es gibt dann einfach parallel schlichte physikalische und chemische Reaktionen zwischen den einfachen Kräften und Stoffen und teleologische Strukturen beim biologischen Entstehen oder menschlichen Herstellen.