(1) Frage: In seinem Beitrag diskutiert Benevich ein Argument Avicennas, das u.a. auf der Annahme aufbaut, dass die Möglichkeit eines Objekts nicht mit der Fähigkeit eines Akteurs, dieses Objekt hervorzubringen, identisch sein kann. Jedoch: Warum kann die Möglichkeit von x nicht genau darin begründet liegen, dass ein/e Akteur/in x tun/schaffen kann? Avicenna argumentiert scheinbar, dass die Möglichkeit eines Objektes der Fähigkeit, dieses Objekt hervorzubringen, vorgeordnet sein muss. Im Mittelalter gab es aber durchaus eine Debatte darüber, ob Gott auch etwas Unmögliches schaffen könnte. Wenn Gott dazu fähig sein sollte, etwas Unmögliches zu schaffen, dann ist Möglichkeit nicht unbedingt einer Fähigkeit vorgeordnet - kontra Avicenna.
(1) Antwort: Die absolute Mehrheit der Philosophen in der arabischen mittelalterlichen Tradition behauptet, dass Gott das Unmögliche nicht schaffen könne. Insbesondere betrifft es Avicenna. Laut Avicenna, hängt die an-sich-Möglichkeit/Notwendigkeit von keinen extrinsischen Ursachen ab. Beispielsweise, da der Mensch an sich ein Lebewesen notwendigerweise ist, kann Gott dies nicht ändern. Wenn Mensch unmöglicherweise ein Stein ist, kann Gott Mensch zu einem Stein nicht umwandeln. Die absolute schöpferische Kraft Gottes wird also durch die essentielle Möglichkeiten und Notwendigkeit beschränkt.
(2) Frage: Gibt es bei Avicenna kontingente Existenz? Wenn nicht: Gibt es eventuell interessante Parallelen und Differenzen zwischen seiner Argumentation und Timothy Williamsons Argument dafür, dass alles, was existiert, notwendigerweise existiert? Beide scheinen ja die (heute) so genannte Barcan-Formel zu vertreten: Wenn es möglich ist, dass es etwas von einer bestimmten Art gibt, dann gibt es etwas, von dem es möglich ist, dass es von dieser Art ist.
(2) Antwort: Avicenna unterscheidet sich von den Necessiterianisten dadurch, dass er zwei Arten der Möglichkeit und Notwendigkeit unterscheidet: „an sich“ und „durch etwas anderes“. Obwohl dem Tisch eine notwendige Existenz durch die kausalen Ketten seitens Gottes zugeteilt wird, verbleibt der Tisch immer noch „an sich“ betrachtet rein kontingent. Der Tisch, wenn er existiert, ist also gleichzeitig notwendigerweise existent (in Bezug auf die kausalen Ketten und Gott) und kontigenterweise existent (in Bezug auf sich selbst). Nur Gott ist das An-sich-Notwendige laut Avicenna. Avicenna erlaubt also die kontingente Existenz, selbst wenn alles in der Welt durch Ursachen, die auf Gott zurückgehen, determiniert ist. Er ist kein Necessiterianist, weil er die Kontingenz-Sätze wie etwa „Der Tisch ist kontigenterweise existent“ als wahre Sätze betrachtet. Der Wahrheitsmacher dieses Satzes ist die Essenz des Tisches, indem sie als solche alleine betrachtet wird. Gleichzeitig ist der Satz „Der Tisch ist notwendigerweise Existenz“ auch wahr, weil sich der Wahrheitsmacher hier von dem ersten Satz unterscheidet. Der Wahrheitsmacher des Notwendigkeits-Satzes wäre der bereits existierende Tisch samt allen Ursachen, die seine Existent determiniert haben.
Was die Anwendung der Formel „Wenn es möglich ist, dass es etwas von einer bestimmten Art gibt, dann gibt es etwas, von dem es möglich ist, dass es von dieser Art ist“ betrifft, muss man beachten, dass Avicenna diese Formel nur dann erlauben würde, wenn man unter der Möglichkeit die Potentialität/Dispositionalität versteht – wie ich es in meinem Vortrag hervorgehoben habe. Die Möglichkeit als solche (d.h. im Sinne der Kontingenz), hat keine existentiellen commitments für Avicenna. Laut Avicenna, gibt es wohl Essenzen, welche an sich möglich sind, aber nie instanziiert werden, weil die extrinsischen Ursachen in der Welt ihre Existenz unmöglich machen. Ein Beispiel dafür wäre Phönix (wenigstens laut einigen Interpreten) oder das berühmte „siebeneckige Haus“.
(3) Frage:Benevich zufolge nimmt Avicenna an, dass die abstrakte Möglichkeit der Existenz (im Gegensatz zur dispositionalen Potentialität) keine existentiellen Implikationen mit sich bringt. Andererseits glaubt Avicenna wohl, dass abstrakte Möglichkeit in Essenzen begründet liegt. Impliziert abstrakte Möglichkeit dann nicht die Existenz von etwas, nämlich Essenzen?
(3) Antwort: Ja, aber nur im Verstand. Die abstrakte Möglichkeit wird von den Begriffen in unserem Verständen ausgesagt. Es ist existiert hier also „etwas“: Die Begriffe existieren in unseren Vorstellungen (Avicenna glaubt an die sog. „mentale Existenz“).
(4) Frage: Teil des komplexeren avicennischen Arguments ist ein Regressargument gegen die Annahme, dass Möglichkeit nur möglicherweise existiert. Wenn Möglichkeit nur möglicherweise existiert, dann müssen wir für jede Möglichkeit eine weitere Möglichkeit annehmen. Warum aber sollte dieser Regress problematisch sein? In Teilen der gegenwärtigen Metaphysik wird es als unproblematisch angesehen, Möglichkeit immer weiter zu iterieren.
(4) Antwort: Avicenna weist den aktuellen infiniten Regress im Allgemeinen an mehreren Stellen seines Werkes zurück (Aristoteles folgend). Darüber hinaus, muss man beachten, dass die Möglichkeit im Rahmen des Argumentes als ein reelles Attribut verstanden wird – dies, im Unterschied zu den modernen Interpretationen der logischen Möglichkeit. Ein infiniter Regress wird also zu einer infiniten Menge der reellen Dinge führen. Außerdem, wird PSR durch diesen Regress in Frage gestellt: wenn es eine infinite Menge der Möglichkeiten (die Möglichkeit von F; die Möglichkeit von der Möglichkeit von F; die Möglichkeit von der Möglichkeit von der Möglichkeit von F…) der Entstehung von F vorausgehen muss, dann wird F wohl nie eintreten.