Diskussionsfragen zu Daniel Cohnitz: „Thought Experiments and the (Ir-)Relevance of Intuitions in Philosophy“

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Frage: Es gab ja lange Zeit die Auffassung, dass man in der Philosophie apriorische Erkenntnis nutzen kann. Vielleicht stimmt das nicht, aber wenn es eine Rolle spielen sollte, dann wäre natürlich eine Frage: Wie kann das überhaupt funktionieren? Das war ja immer das große Rätsel. Könnte man nicht sagen, dass genau dies eine wichtige Funktion von Intuitionen als Erkenntnisquelle sein könnte, welche durch Gedankenexperimente abgerufen werden, dass sie eine Erklärung apriorischer Erkenntnis leisten unter bestimmten Bedingungen?

Für die Beurteilung von Gedankenexperimenten stellen sich zunächst ja dieselben Fragen, wie für alle anderen Urteile. Apriorische Erkenntnis wird durch das Gedankenexperiment nicht erklärt, sondern ist bestenfalls selbst eine Erklärung, wie wir zur Beurteilung hypothetischer Fälle gelangen. Natürlich gibt es Philosophen, die der Auffassung sind, dass apriorische Erkenntnis möglich ist. Da müsste man jetzt natürlich eine inhaltliche Debatte darüber führen, wo sollen die dann herkommen, worauf beruht dieses a priori? Dann gibt es die Alternativangebote, welche ich hier vorstelle, dass man z.B. mit gemeinsamen Annahmen argumentiert, was wesentlich voraussetzungsärmer ist als die Annahme von rationalen Intuitionen. Dann müsste man sich darüber unterhalten, was die bessere Theorie in Bezug auf eine bestimmte philosophische Fragestellungen ist. Das kann vielleicht in manchen Fällen durchaus auf eine partielle Rehabilitation apriorischer Erkenntnis hinauslaufen. Meine eigene Auffassung ist, dass wenn man sich auf eine bestimmte philosophische Problematik konzentriert und schauen will, wie funktioniert das denn in dieser Debatte vernünftigerweise, dann ist das eine sehr penible analytische Arbeit nur schon für diese Debatte und sie lässt sich sehr wahrscheinlich nicht auf andere Bereiche übertragen. Deshalb würde ich sagen, dass es sicherlich ein sinnvolles Unterfangen ist, sich das genau anzugucken, wie das in der Erkenntnistheorie in einer bestimmten Debatte funktioniert. (…) Da kommt dann auch was dabei raus, Vorschläge, wie man die Methode des Gedankenexperiments optimieren kann usw. Wie weitreichend das ist, was man da rausholt, das ist dann aber eine weitergehende philosophische Frage.

Frage: Sie haben gesagt, dass philosophische Gedankenexperimente es ermöglichen könnten, verschiedene nebeneinanderstehende metaphilosophische Positionen in einen Austausch miteinander zu bringen. Wie ist das zu verstehen?

Zunächst einmal kann man die Methode des Gedankenexperiments aus verschiedenen metaphilosophischen Positionen heraus kritisieren. Das ist auch gemacht worden, je nachdem was für eine Auffassung man von Begriffen hat, und welche Vorstellung damit verbunden ist, wie naturalistisch die Philosophie sein soll, etc. So kann man also verschiedene Kritiken von Gedankenexperimenten vortragen. In meiner Dissertation habe ich versucht zu zeigen, dass diese Kritiken aber alle nicht in der Lage sind, die kritische Kraft von Gedankenexperimenten auszuräumen, egal welche metaphilosophischen Annahmen man macht. Also wenn jemand ein Gedankenexperiment präsentiert und sagt, das ist ein Gegenbeispiel zu deiner Theorie, dann ist es egal, welche metaphilosophischen Annahmen du machst, du muss das dann ernst nehmen. Wenn man ein Gegenbeispiel ausräumen will, muss man eine substantielle Geschichte erzählen. Du kannst nicht einfach sagen, es ist nur ein Gedankenexperiment, deswegen muss ich es nicht ernst nehmen. Deswegen ist das Gedankenexperiment eine Methode, die es ermöglicht Philosophen mit unterschiedlichstem metaphilosophischem Hintergrund miteinander einen kritischen Dialog führen zu lassen.

Kommentar: Also ich teile deine Kritik an der Metaphilosophie als der Suche nach einer generellen Methode der Philosophie, aber ich frage mich ob diese Kritik nicht noch viel weitergehen müsste? Niemand würde auf die Idee kommen, die Philosophie der Geschichte beispielsweise würde sich nur mit den Methoden der Geschichtswissenschaften beschäftigen. Ich verstehe gar nicht, wie man auf diese verengte Vorstellung kommen kann, die Philosophie der Philosophie sei das Studium der Methode der Philosophie. Ich weiß nicht, wie das ein plausibler Ausgangspunkt sein kann.

Ich halte das ebenfalls für einen unplausiblen Ausgangspunkt, die Metaphilosphie so zu charakterisieren, weil die Philosophie einfach zu breit ist, als dass sie allein durch ihre Methode beschrieben werden könnte. Ich habe in meinem Aufsatz ja schon angedeutet, dass ja die Methodenfrage selber von einem ganzen Katalog weiterer metaphilosophischer Fragen abhängt.

Frage: Das knüpft vielleicht ganz gut an, denn es geht mir wieder um die praktische Philosophie. Es gibt in Ihrer Dissertation ja auch ein Kapitel, das der Frage nachgeht ob Gedankenexperimente in der praktischen Philosophie irgendwie anders sind als in der theoretischen Philosophie. Die Antwort, wenn ich mich recht erinnere, ist: „Nein“. Ich habe das nie geglaubt und mich würde interessieren, wie Sie das heute sehen.

Was wäre denn so ein Gegenargument ---?

Ich glaube zum Beispiel, dass man auch „Den Schleier des Nichtwissens, als ein Gedankenexperiment verstehen kann. Ich glaube aber, dass man den nicht mit den gleichen Mitteln rekonstruieren kann wie alle anderen Gedankenexperimente, über die wir heute gesprochen haben.

Da gebe ich Ihnen Recht, aber das würde ich ja auch als funktionales Gedankenexperiment einordnen, und wie gesagt, das ist eine Kategorie, die ich noch nicht ganz verstanden habe. Das sind zunächst einmal Sonderfälle. Was andere stereotypische Gedankenexperimente in der praktischen Philosophie betrifft, würde ich sagen, dass es sich dabei oft um Gedankenexperimente handelt, in denen es um normative Fragen geht. Diese Gedankenexperimente folgen dem Modell des Überlegungsgleichgewichts, das im Prinzip für normative Fragen in der theoretischen Philosophie (z.B. in der Erkenntnistheorie) ebenso Anwendung findet.

Frage: Ich habe eine Frage zu Gedankenexperimenten als Gegenbeispiele und eine Frage dazu wie Intuitionen da genau wirken. Es gibt ja innerhalb dieser Sparte „Gedankenexperimente als Gegenbeispiele“ nochmal sehr unterschiedliche Formen von Gedankenexperimenten. Es gibt Gegenbeispiele, die sozusagen innertheoretische Widersprüche aufdecken, es gibt welche die intertheoretische Widersprüche aufdecken, das heißt zwischen Theorien, dann gibt es Gedankenexperimente die Gegenbeispiele zu Intuitionen aufzeigen. Das sind nochmal drei verschiedene Arten würde ich sagen, und gerade bei den Gedankenexperimenten, die diese innertheoretischen Widersprüche aufzeigen, da sind oft eigentlich gar keine Intuitionen im Spiel. Ein gutes Beispiel wäre etwa das Gedankenexperiment von Galileo zur Fallgeschwindigkeit. Es deckt auf, dass die Fallgeschwindigkeit nicht, wie in der aristotelischen Physik angenommen, von dem Gewicht des Gegenstands abhängen kann, weil diese Theorie unter bestimmten Bedingungen zu widersprüchlichen Annahmen führen würde. Da spielen Intuitionen erst mal keine Rolle. Und auch in anderen eher naturwissenschaftlichen Gedankenexperimenten spielen Intuitionen, wenn überhaupt, dann nur eine schwache Rolle. Würden Sie das auch so sehen?

Zunächst einmal denke ich nicht, dass das Gedankenexperiment von Galileo zur Fallgeschwindigkeit ein rein innertheoretisches Gegenbeispiel ist. Wie Tamar Szabó Gendler gezeigt hat, kann sich der Aristoteliker eigentlich innertheoretisch aus dem Widerspruch herauswinden. Er muss dann aber Annahmen machen, von denen man zu Galileis Zeiten schon aus Erfahrung wusste, dass sie falsch sind. Viele der frühen Gedankenexperimente in der Physik schmuggeln auf diese Weise empirische Annahmen ein und das unterscheidet sie zum Teil von philosophischen Gedankenexperimenten.

Modernere Gedankenexperimente, wie beispielsweise die Gedankenexperimente zur Quantenmechanik oder Relativitätstheorie, sind hingegen oft eigentlich ziemlich philosophisch. Da spielen dann eben philosophische und nicht empirische Annahmen eine Rolle. Das sind aber keine Annahmen darüber, was in einem bestimmten Experiment passieren würde (dies wird in der Regel einfach aus einer Theorie abgeleitet), sondern Annahmen darüber, was eine gute oder vollständige Erklärung eines solchen Ergebnisses wäre. Also letztlich wissenschaftstheoretische Annahmen darüber, was eine gute bzw. vollständige Erklärung ist.

Frage: Ich habe eine Frage zum Anfang über die Problemlösung (wie es bei Carnap glaube ich heißt). Meine Frage betrifft eine bestimmte Art von Puzzles-Gedankenexperimenten, Gedankenexperimente, die oft zu bestimmten Paradoxien führen: Zenons Schildkröte oder die Frage, ob eigentlich der Fachmann ein Problem lösen sollte, oder der Laie – der Fachmann ist biased, und wird kein neutrales Urteil geben, der Nicht-Fachmann versteht das Problem gar nicht Auch die Regel-Folge-Probleme von Wittgenstein...meiner Ansicht nach alles Ansätze, die keiner Problemlösung dienen, sondern das Gegenteil machen. Das fand ich bei ihrem Text auch problematisch, dass Sie sagen, sophia hat was mit Wahrheit zu tun, und Problemlösung ist Wahrheitsfindung, aber bei Sextus Empiricus etwa hat sophia noch nichts mit Wahrheit zu tun, sondern mit Seelenruhe...

Ich hatte die Idee der Wahrheitssuche ja auch als kleinsten gemeinsamen Nenner vorgeschlagen, aber sehe jetzt, dass selbst das problematisch sein könnte...Man kann natürlich Gedankenexperimente oder puzzle cases mit einem radikalskeptischen Impetus vortragen, aber zu den meisten puzzle cases, die in der Philosophie überlebt haben, gibt es ja doch Antworten, die allgemein akzeptiert sind. (…) Natürlich gibt es dann immer wieder Leute, die gesagt haben, dann können wir jetzt gar nichts machen und müssen uns in den Quietismus retten, aber das ist natürlich auch sehr unbefriedigend und meistens keine stabile Position.

Frage: Mir ist noch nicht ganz klar, inwieweit beim Überlegungsgleichgewicht Intuitionen keine Rolle spielen. Es geht ja hin und her zwischen Grundsätzen und intuitiven Einzelfallurteilen. Es scheint mir dann schon so zu sein, dass diese Einzelfallurteile aus irgendeinem Grund problematisch sind, und dieser problematische Aspekt sich auf das Gesamturteil übertragen kann. Also scheinen Intutitionen ja in gewisser Weise schon evidenzähnlichen Status zu haben, selbst wenn man hin und hergeht.

Ja, aber wenn man beispielsweise feststellen würde, dass bestimmte Intuitionen in Bezug auf Einzelfallurteile, von denen man geglaubt hat, dass sie allgemein geteilt sind, das nicht sind, dann würde man nicht sagen „oh schade, jetzt müssen wir aufhören mit dem Projekt“. Sondern dann würde man sagen, okay, dann sollten wir diese Intuitionen jetzt eher nicht ernstnehmen und stattdessen an den intuitiven Grundsätzen, mit denen die Einzelfallurteile in Widerspruch standen, festhalten. Angenommen ich würde jetzt sagen: Bei diesem Einzelfall hier habe ich folgende Intuition, und deswegen denke ich, sollte man dieses Prinzip ablehnen, und alle hier im Raum sagen „ich teile diese Intuition aber gar nicht“, dann würde ich denken, dass wir meine Beurteilung des Einzelfalls besser noch nicht als Grund nehmen sollten, um das Prinzip abzulehnen. Die Argumentation von X-Phi war ja, dass wir, wenn wir für eine beschränkte Klasse von Einzelfällen zeigen können, dass Intuitionen unzuverlässig sind, das gesamte Projekt aufgeben sollten. Das folgt aber nicht unbedingt, wenn das Überlegungsgleichgewicht davon ausgeht, dass eben ab und zu Intuitionen aufgegeben werden müssen, beispielsweise, wenn sich herausstellt, dass die entweder mit sehr starken Prinzipien im Widerspruch stehen oder es andere Gründe gibt, sie anzuzweifeln.