Zu zwei Verbindungen des Altägyptischen mit der Beja-Sprache[1]

Stefan Bojowald (Universität Bonn)

In this article two parallels between the Ancient Egyptian and the Beja language are discussed. In the first case, the connection between ear of corn and thorn is investigated. In the second case, the Beja root sir ‘wooden shaft of the spear’ is compared with the Ancient Egyptian root śr.t ‘thorn’.

Keywords: Ancient Egyptian language – Beja language – ear of corn as thorn – etymological comparison

In diesem Artikel werden zwei Parallelen zwischen dem Altägyptischen und dem Beja besprochen. Im ersten Fall wird die Beziehung zwischen Ähre und Dorn untersucht. Im zweiten Fall wird die Wortwurzel sir ‘Lanzenschaft’ aus dem Bedja mit der altägyptischen Wortwurzel śr.t ‘Dorn’ verglichen.

Schlagworte: Altägyptische Sprache – Bejasprache – Ähre als Dorn – etymologischer Vergleich

Einleitung

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In diesem Beitrag werden zwei Beispiele für Verbindungen zwischen dem Ägyptischen und der Beja-Sprache diskutiert[2]. Die Beja-Sprache ist Teil der afroasiatischen Sprachfamilie, zu deren kuschitischen Zweig sie zählt. Das heutige Verbreitungsgebiet der Sprache erstreckt sich auf Ägypten, Eritrea und den Sudan. Die Beja-Sprache wird je nach Standpunkt für den Nachfahren der Sprache der antiken Blemmyer gehalten[3].

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Im ersten Teil wird über eine bestimmte Assoziation im Zusammenhang mit der Getreideähre gehandelt. Im Zentrum wird dabei deren oben spitz zulaufende Form stehen. Der Aspekt wird in beiden Sprachen mit verschiedenen Mitteln zum Ausdruck gebracht. Der zweite Teil fügt der Reihe der etymologisch verwandten Wurzel ein neues Beispiel hinzu. Die Aufmerksamkeit richtet sich dort auf die beja-sprachliche Wurzel sir ‘Lanzenschaft’, die mit der ägyptischen Wurzel śr.t ‘Dorn’ verglichen wird. Der afrikanische Einfluss spiegelt sich auch sonst in der ägyptischen Sprache wider. Die moderne Forschung ist schon mehrfach auf solche Querbezüge aufmerksam geworden[4]. Der Ansatz als solcher kann daher als methodisch durchaus korrekt gelten. 

Zur Getreideähre

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Der erste Teil geht also auf die spitze Eigenschaft der Getreideähre ein. Das Charakteristikum spiegelt sich in beiden Sprachen auf unterschiedliche Weise wider.

Die Ausgangsbasis bildet die beja-sprachliche Wurzel [o]kûd ‘Ähre’, die Blažek[5] jüngst mit der ostkuschitischen Wurzel *ḳuḍh- ‘Dorn’ in Zusammenhang bringt.  Die These leuchtet durchaus ein. Im Hintergrund schwingt offenbar das optische Erscheinungsbild der Ähre mit, die am oberen Ende durchaus einen spitzen Eindruck hervorrufen kann. Die Nähe zum Dorn ergibt sich dadurch von selbst. Das Wort [o]kûd ist heute wohl nicht mehr in Gebrauch, hat es aber mit der Bedeutung ‘Ähre’ gegeben.

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Die ägyptische Literatur hat sich ebenfalls dieses Phänomens bemächtigt. Die betreffende Erscheinung schlägt sich dort in einer Reihe von Textstellen expressis verbis nieder. Die prinzipielle Kenntnis dieses Phänomens lässt sich bereits bis zu den Herausgebern des Wörterbuches zurückverfolgen[6]. Die Beispiele bauen jedes Mal auf der Wurzel śpd[7] ‘spitz’ auf. Die Menge der Belege könnte sich in Zukunft durch gezielte Suche noch vergrößern. Der Sachverhalt wird aber bereits auf der jetzigen Grundlage ausreichend illustriert. Das folgende Beispiel soll darunter in extenso genannt werden. 

Die Diskussion stützt sich auf eine Stelle aus der autobiographischen Darstellung der Byblos-Expedition, welche der Beamte Sennefri unter Thutmosis III. (18. Dynastie, 15 Jh. v. Chr.) unternommen hat. Das Beispiel kann damit ins Neue Reich datiert werden. Das Ziel der Reise hatte u. a. aus der Beschaffung von Flaggenmasten bestanden. Die ägyptischen Expeditionen nach Byblos hatten seit der Frühzeit zur Routine gehört[8]. Die folgenden Worte interessieren am meisten:

 

inn=i mḥ 60 m [w=śn] śpd śt r wšm[9]

Ich brachte 60 Ellen in [ihrer Län]ge, sie sind spitzer als eine Granne.

 

Das Beispiel macht sich die gleiche spitze Form der Ähre zunutze. Im vorliegenden Fall wird sie obendrein metaphorisch ausgedeutet. Die Gestalt der Flaggenmasten ist ebenfalls oben als spitz zu bezeichnen. Das tertium comparationis braucht daher nicht lange gesucht zu werden. Der Vergleich der spitzen Flaggenmasten mit der Getreidegranne beruht auf der gleichen Voraussetzung, die auch für die Assoziation in der Beda-Sprache gilt. In diesem Punkt haben sich demnach beide Seiten getroffen.

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Der spitze Aspekt der Ähre hat übrigens im Ägyptischen auf etymologischer Ebene keine Rolle gespielt. Die in einer früheren Arbeit vertretene Ableitung der ägyptischen ẖmś-Ähre von der Wurzel ẖmś ‘sich neigen’ bleibt weiterhin gültig und braucht nicht aufgegeben zu werden[10]. Die Assoziation liegt ebenfalls relativ nahe. Der gedankliche Zusammenhang ruft den sich am Halm zu Boden neigenden Fruchtkörper der Ähre vor Augen. In jener Frage hatten sich die Alten also anders orientiert. Der Fall ist bei der iꜢꜢ-Pflanze[11] offenbar etwas anders gelagert, die theoretisch mit der Wurzel iꜢꜢ[12] ‘Spitze’ verbunden werden könnte. Die Frage kann hier nicht weiterverfolgt werden.

Zur etymologischen Verwandschaft

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Der zweite Teil hebt eine mögliche etymologische Verwandtschaft zwischen einer bejasprachlichen und ägyptischen Wurzel hervor. Die Ausführungen betreffen die bejasprachli­che Wurzel sir ‘Lanzenschaft’ und ägyptische Wurzel śr.t ‘Dorn’. Der diesbezügliche Vergleich passiert hier offenbar zum ersten Mal.

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Das bejasprachliche Material wird wieder als erstes in die Betrachtung einbezogen. Die größte Bedeutung kommt dort – wie gesagt – der Wurzel sir ‘Lanzenschaft’ zu.  Die Wurzel wird von Blažek[13] an Somali seeri ‘Wald, Dickicht, Gebüsch’ herangerückt. Die Gleichung dürfte aus semantischen Gründen nicht ganz unproblematisch sein. Im Folgenden wird daher eine Alternative angeboten. In der ägyptischen Sprache taucht vielleicht eine bessere Möglichkeit auf.

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Die Beschäftigung mit dem ägyptischen Material schließt sich also nun an. Die Wurzel śr.t[14] ‘Dorn’ bietet sich dort exzellent zum Vergleich an. Die Vokale werden im Ägyptischen bekanntlich nicht mitgeschrieben. In Anbetracht dessen lässt sich über eine mögliche i-Färbung des Wortes nicht viel sagen. Die Hauptlast wird wie immer in solchen Fällen von den Konsonanten getragen. Die t-Endung fungiert im Ägyptischen als Femininkennzeichen und wurde zumal in jüngerer Zeit recht volatil gehandhabt. Die Wurzel hat sich im Ägyptischen nur als Nomen erhalten. Die Hinweise auf ein mögliches ägyptisches Adjektiv *śr ‘spitz o. ä.’ haben sich, wenn es sie denn gegeben hat, im Dunkel der Geschichte verloren. Die Etymologie des Wortes scheidet demnach zumindest in diese Richtung aus. Der Vorschlag selbst sollte ohne weiteres vertretbar sein. In jedem Fall wirkt er weniger abenteuerlich als die von Blažek angesetzte Verbindung zu Somali seeri ‘Wald, Dickicht, Gebüsch’.

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In der Auswertung empfiehlt sich folgendes Fazit: Die Beziehungen zwischen dem Ägyptischen und der Beja-Sprache konnten durch die obigen Bemerkungen weiter ergänzt werden. Die Verbindungen treten damit immer deutlicher hervor. Der Vergleich ist insbesondere vor dem Hintergrund der afro-asiatischen Querverbindungen von einigem Interesse. Die beiden oben vorgeschlagenen Erklärungen können zumindest als Arbeitshypothese dienen.

 

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[1] Der Dank für einige wichtige Hinweise geht an die beiden Gutachter.

[2] Zur Beja-Sprache vgl. Vycichl, Language, S. 411-430; Zaborski, Wortschatz, S. 573-591; Appleyard, Beja, S. 175-195; Wede­kind, Beja, S. 165-183; de Jong, Notes, S. 338.

[3] Zu den Blemmyer-Inschriften im ägyptischen Kernland vgl. Bajtler/ Poplawski, Roads, S. 33.

[4] So bei Zibelius-Chen, Nubisches Sprachmaterial, passim; Quack, Nubisch-meroitische Lexeme, S. 477-487; Bojowald, Zur Bedeutung, S. 5-8; el-Sayed, Afrikanisches Lehngut, S. 303-320; Khalil, Studien zum Altnubischen, passim; Schmidt, Körperflüssigkeiten, S. 148; vgl. dazu aber bereits kritisch Egberts, Qest of Meaning, S. 17; Breyer, Zwerg-Wörter, S. 99-112; Schneider, Language Contact, S. 5-70.

[5] S. Blažek, Flora, S. 48; zu dieser Wurzel vgl. demnächst Vanhove/ Hamid Ahmed, Lexikon (persönliche Mitteilung).

[6] WB IV, 108, 6.

[7] S. Diakonoff et al., Comparative Vocabulary, S. 14/ 27; Peust, Rezension, S. 353.

[8] S. Schneider, Ancient Egyptian, S. 423; van de Mieroop, History of Ancient Egypt, S. 51.

[9] Eichler, Reisen des Sennefri, S. 221.

[10] S. Bojowald, Vorschlag zur Etymologie, S. 1-4.

[11] Zu dieser Pflanze vgl. z. B. Charpentier, Recueil de Matériaux, S. 44; Schmidt, Körperflüssigkeiten, S. 50; Parkinson, Tale of Eloquent Peasant, S. 30. 

[12] S. Altenmüller, Zwei Annalenfragmente, S. 73.

[13] S. Blažek, Flora, S. 51; zu dieser Wurzel vgl. demnächst Vanhove/ Hamid Ahmed, Lexicon (persönliche Mitteilung)

[14] Zu diesem Wort vgl. Donner, Herkunft, S. 98 n. 4; Peust, Egyptian Phonology, S. 241.